Latin America Meets Oberberg – Erfahrungen in einer anderen Welt

Am 13. Oktober 2018 trafen sich eine Gruppe von Mitgliedern und Gästen des BGV Oberberg im Ev. Gemeindehaus in Dieringhausen, um einen zweistündigen Vortrag des Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Köln-Bonn, Michael Lingenthal, zu hören, der in seinem Berufsleben u.a. für die Konrad-Adenauer-Stiftung in leitender Funktion in den Auslandsbüros in Paraguay, Peru und Venezuela gearbeitet hat. Außerdem war er von 1982 bis 1988 als Leiter der Karl-Arnold-Bildungsstätte und von 1992 bis 1998 im Aufbau und in der Geschäftsführung des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes tätig. Auch heute engagiert sich der Siebzigjährige noch in der Kommunalpolitik seiner Heimatstadt Bad Honnef, wo er auch den örtlichen Stadtverband der CDU leitet.

Der Vortrag führt in die sozialen und politischen Verhältnisse Lateinamerikas ein.

Der Begriff „Heimat“ hat für Lingenthal eine ganz eigene Bedeutung, besonders wenn man bedenkt, dass er in seinem Berufsleben 29 Umzüge hinter sich gebracht hat und als gläubiger Christ in 20 evangelischen Kirchengemeinden in den Gastländern mitgewirkt hat. Schon früh erwachte sein Interesse an der politischen und sozialen Entwicklung in Osteuropa, besonders in der Sowjetunion und Polen, aber auch in der DDR. Zwanzig Jahre verbrachte der Referent im Dienst der Konrad-Adenauer-Stiftung in Lateinamerika, davon acht Jahre in dem unter schwierigen politischen und sozialen Verhältnissen leidenden Venezuela. Er erzählte von der Einflussnahme Kubas, um in anderen lateinamerikanischen Staaten nicht nur mit den Mitteln der Indoktrination, sondern auch mit wirksamer Entwicklungshilfe in der medizinischen Betreuung und im Ausbau der Bildungsinstitutionen  und mit dem Einsatz von Sozialarbeitern sein Gesellschaftssystem zu verbreiten.

Viele lateinamerikanische Länder leiden immer noch massiv unter einer ausgeprägten und weitverzweigten Korruption. Diktaturen benutzten nicht nur ihre Geheimdienste, um die Bevölkerung und allzu selbständig arbeitende ausländische Organisationen, auch davon konnte sich Lingenthal hautnah selbst überzeugen, zu disziplinieren und einzuschüchtern. Durch unverhohlene wirtschaftliche Einflussnahme, illegal oder „legal“ z.B. durch spezielle Zollgebühren, bereicherte sich das herrschende Regime, was auch nach Südamerika geflohene Nationalsozialisten zu spüren bekamen: Wer kein Schutzgeld zahlen wollte, wurde mit der Auslieferung an den israelischen Mossad bedroht. In der jüngeren Zeit habe sich die Situation aber durch das Erstarken internationaler Organisationen und durch die Durchsetzung ihrer Rechtsnormen, auch mithilfe der USA, deutlich gebessert. Im Gegensatz dazu ignoriere die chinesische Entwicklungspolitik aber fast völlig die innenpolitische Situation in den Nehmerländern.

Lingenthal wies in seinem kenntnisreichen Vortrag auch auf die schwierigen nachbarschaftlichen Beziehungen der einzelnen südamerikanischen Staaten untereinander hin. Auch rassistische Vorurteile zwischen den verschiedenen nationalen Ethnien stören nach wie vor den inneren Frieden. Ebenso zeige sich in identischen sprachlichen Formulierungen, die in den einzelnen Ländern etwas gänzlich Unterschiedliches bezeichnen, die Andersartigkeit.

Eine der zahlreichen Zwischenfragen der sehr interessierten Hörerschaft bezog sich auf die Verwendung von Entwicklungshilfe in den einzelnen Ländern. Lingenthal machte hier deutlich, dass man auf europäischer Seite anfangs zu stark den Export des eigenen Wirtschaftssystems im Auge gehabt hätte und dass die kulturellen Bedingungen des Entwicklungslandes zu wenig beachtet worden seien. Wirksame Entwicklungshilfe sei zudem auf starke Partner im Lande angewiesen, wie Stiftungen, Handwerkskammern oder Industrieverbände, wenn sie erfolgreich sein wolle.

Mitglieder und Gäste beim Vortrag

Bei der Überwindung von Meinungsverschiedenheiten mit den nationalen Behörden half laut Lingenthal immer wieder der enge Zusammenhalt zwischen der Adenauer-Stiftung, den deutschen Botschaften und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die viele Entwicklungsprojekte der Bundesrepublik Deutschland federführend betreut. Das habe auch die persönliche Sicherheit der Mitarbeiter in schwierigen Zeiten gewährleistet.

Trotzdem verlange es schon viel Mut und Durchsetzungsvermögen von den in diese Region entsandten Funktionsträgern, um in verantwortlicher Position Bildungs- und Entwicklungs-hilfeprojekte zu verwirklichen. Lingenthal gab zwar zu, dass die zahlreichen Ortswechsel eine gewisse Belastung für die Familie darstellten, davon können sicher auch viele Diplomatenkinder und -Ehepartner ein Lied singen, die schulische Ausbildung an deutschen Privatschulen sei aber hervorragend gewesen. Probleme hätten sich für die Kinder aber dann in Deutschland bei der Studienfach- und Berufswahl ergeben, da sie die Verhältnisse in Deutschland nur unzureichend kannten.

Interessant war auch die Einschätzung der religiösen Lage in Südamerika. Lingenthal sagte, dass die ablehnende Haltung des Vatikans zur „Theologie der Befreiung“ dem Katholizismus viele Gläubige entzogen habe, sodass die Quote des Katholizismus hier nur noch bei 50% läge. Gewinner dieser Entwicklung seien vor allem die evangelischen und evangelikalen Glaubensgemeinschaften gewesen. Außerdem steige der Anteil der Atheisten.

Zum Schluss dankte unser Vorsitzender Markus Dräger dem Referenten, nicht ohne auf die interessante Geschichte der Familie zu verweisen, aus der bedeutende Juristen und Offiziere hervorgingen. Lingenthals  Bruder Götz war deutscher Botschafter in Algerien und leitet seit 2016 die deutsche Botschaft in Abu Dhabi.

Anmerkung: Leider musste der für diesen Tag vorgesehene Referent Gerd Berendonck aus gesundheitlichen Gründen absagen. Wir versuchen, den Vortrag nächstes Jahr nachzuholen.

Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf