100 Jahre Weimarer Verfassung – der BGV Oberberg erinnert an die Anfangsjahre der Weimarer Republik

Nach „200 Jahre Preußen im Rheinland“  im Jahre 2015 hat der Bergische Geschichtsverein in diesem Jahr eine weitere Ausstellung mit dem Titel „Zusammenbruch und Neuanfang. Revolution 1918/19 und Beginn der Weimarer Republik“ mit vielen Zeitzeugnissen zusammengestellt, die noch bis zum 30. August 2019 im Gummersbacher Regionalforstamt zu sehen ist.  Die Eröffnung fand am 31. Juli statt, dem 100. Jahrestag der Verabschiedung der „demokratischsten Verfassung der Welt“, wie Eduard David, der erste Vorsitzende der Weimarer Nationalversammlung, sie nannte.

Der Hausherr Kay Boenig begrüßt die Gäste

Bei der Begrüßung der zahlreichen Gäste hob Kay Boenig, der Leiter des Forstamtes, die inhaltliche Nähe zwischen seinem Berufsstand und der Regionalgeschichte hervor. So wie sich forstwirtschaftliche Planungen und Abläufe in einem weitgesteckten Zeitrahmen bewegen, bestimmen sie auch langfristig die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und Lebensumstände der in den betroffenen Räumen lebenden Menschen. Schon deswegen sei ein starkes Geschichtsinteresse bei Förstern keine Seltenheit.

In seinem Grußwort wies Dr. Alexander Rothkopf, BGV-Ehrenvorsitzender und Initiator der Ausstellung, auf die epochale Bedeutung der Umbruchperiode nach dem Ersten Weltkrieg hin. Sowohl in Europa als auch im Reich war die alte Ordnung zusammengebrochen, die monarchisch geprägten Großmächte waren zerfallen oder hatten doch zumindest ihre Staatsform gewechselt. Diese alle Lebensbereiche umfassende Entwicklung, verbunden mit der durch die Kriegseinwirkung schlechten Versorgungslage, hatte viele Bürger in eine Identitätskrise gestürzt und die Gesellschaft vor neue Herausforderungen gestellt. Ein schnelles und mutiges Handeln war nötig, um chaotische Verhältnisse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu verhindern.

Der Gegenstand des Vortrages von Prof. Dr. Ewald Grothe, Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung, war das „Experiment Demokratie“, mit dem die teilweise sehr unerfahrenen Protagonisten der damaligen Zeit in ihrem politischen Handeln konfrontiert wurden. Waffenstillstandsverhandlungen mit den Entente-Mächten waren für Deutschland ohne den Sturz des Kaisers nicht möglich, die Sozialdemokraten nutzten die allgemeine Unzufriedenheit im Inneren, um das politische Ruder im Reich zu ergreifen und die entstehenden revolutionären Energien der Arbeiter- und Soldatenräte zu kanalisieren.

Prof. Ewald Grothe hält den Eröffnungsvortrag

Bei der Wahl zwischen proletarischer Räterepublik und parlamentarischer Demokratie setzten sich nicht nur in der Mehrheits-Sozialdemokratie, sondern auch im bürgerlichen Lager die Befürworter eines politischen Pluralismus durch. Am 19. Januar 1919 wurde eine Verfassungsgebende Nationalversammlung gewählt, in der auch dank des erstmals praktizierten aktiven und passiven Frauenwahlrechts ganz neue Akzente gesetzt wurden.

Die Weimarer Koalition, bestehend aus MSPD, Zentrum und DDP, verfügte über eine solide Mehrheit und brachte in den halbjährlichen Beratungen, die wegen der unsicheren Lage in der Reichshauptstadt ins beschauliche Weimar verlegt worden waren, eine liberale Verfassung hervor, die die Grundlage für eine der damals modernsten Staatsformen bildete. Sie beruhte auf einem Entwurf des Staatsrechtlers und DDP-Mitbegründers Hugo Preuß und hatte zahlreiche Elemente der westlichen Demokratien übernommen, so z.B. die starke Stellung des Reichspräsidenten, abgeleitet aus der amerikanischen Verfassung.

Prof. Grothe wies in seinem Vortrag darauf hin, dass in der Nachkriegsgeschichtsschreibung gewisse Webfehler in der Verfassung für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich gemacht worden seien. In einem umso helleren Licht erschien dann das Grundgesetz mit seinen zahlreichen Sicherungselementen (Fünf-Prozent-Klausel, Ewigkeitsklausel, Verfassungsbeschwerde u.v.a.). In jüngster Zeit sähe man die Ursache für die kurze Lebensdauer der Weimarer Republik eher in der unzureichenden Zahl tatkräftiger Verteidiger der jungen Demokratie. Die Parteien heutigen Typs, die sich durch ein wesentlich höheres Maß an Kompromissbereitschaft auszeichnen, waren weitgehend unbekannt, es gab aus vergleichsweise nichtigen Anlässen Regierungskrisen. Der häufige Wechsel der Kabinette zeigt zwar die Instabilität des politischen Systems, ist aber nicht unbedingt in der Verfassung begründet.

Schwierig wurde es erst, wenn maßgebliche Positionen, wie die des Reichspräsidenten, von Personen besetzt wurden, die ihre Rechte (z.B. Notverordnungen) zur Aushebelung demokratischer Institutionen missbrauchten und Präsidialkabinette dauerhaft regieren ließen, die weitgehend demokratischer Kontrolle entzogen waren. In der Vorstellungswelt von Hugo Preuß kam der starke Reichspräsident eher als Verfassungshüter und nicht als Ersatzkaiser vor.

Es gab aber auch positive Beispiele für aufrechte Demokraten. Gustav Stresemann, langjähriger Vorsitzender der nationalliberalen DVP, wandelte sich vom Monarchisten zum überzeugten Demokraten und legte mit seinem französischen Außenministerkollegen Aristide Briand die Grundlage für einen leider nicht langlebigen deutsch-französischen Ausgleich, Walter Rathenau stellte mit dem Vertrag von Rapallo die deutsch-russischen Beziehungen auf eine neue Basis, der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger, bei der Rechten als Erfüllungspolitiker verschrien, stabilisierte die Staatsfinanzen der Weimarer Republik. Die große Tragik dieser Politikepoche bestand aber darin, dass ihre wesentlichen Stützen dann schon nicht mehr vorhanden waren, als man sie am meisten brauchte.

Weimarer Verfassung

Das politische Klima wurde immer stärker vergiftet und förderte in der Wirtschaftskrise 1923 und 1929 durch eine wachsende Arbeitslosigkeit und völlig unzureichende Arbeitslosenversorgung eher die extreme Rechte und Linke. Viele Menschen hatten in der Inflationszeit ihre Existenzgrundlage verloren, die permanenten Belastungen durch Reparationszahlungen und wirtschaftliche und politische Isolation in den Außenbeziehungen hatten ihre Spuren hinterlassen. Immer mehr Enttäuschte und Verzweifelte wandten sich von den demokratischen Parteien ab, politische Stabilität zeigten nur die Wähler von Zentrum und bis zu einem gewissen Grad der SPD, den größten Wählerschwund erlebten die Liberalen, obwohl die Weimarer Republik gerade auch auf ihren Ideen basierte.

In der anschließenden Diskussion trat auch die Sorge hervor, ob sich Weimarer Verhältnisse wiederholen könnten. Zwar ist die zweite deutsche Republik jetzt schon 70 Jahre alt, aber man war sich einig, dass die freiheitliche Grundordnung immer wieder mit neuem Leben gefüllt werden muss, um langfristig bestehen zu können. Immerhin können wir heute sagen, dass unsere demokratische Tradition heute wesentlich belastbarer ist als die unserer Vorfahren in der Weimarer Republik. Wenn aber politische Verführer weniger Chancen haben sollen, muss diese Tradition kontinuierlich in Familie, Schule und Gesellschaft gepflegt werden.

Text: Harald Meißner  Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf

Archiv des Liberalismus

Regionalforstamt Gummersbach