BGV Oberberg in Zeiten der Krise, Isolation und erschwerter Kommunikation, was ist zu tun? Gedanken zur Standortbestimmung

Die Oberbergische Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins hat sich seit ihrer Gründung vor 96 Jahren verschiedenen Schwerpunkten in ihrer Arbeit angenommen. Diese waren oft bestimmt von hervorragenden Heimatforschern und Experten, sei es auf dem Gebiet der Museumsarbeit, der Volkskunde, der Siedlungs-Geographie, der Dialektforschung, der Naturkunde, der Kartographie, der Archivkunde, der Kunstgeschichte – was in der praktischen Arbeit zu Aufsätzen, Exkursionen, Ausstellungen und Vorträgen führte. Dabei ist es auffällig, dass eine besondere Freude und Anregung darin bestand, Gedenktage zu finden, zu würdigen und ggf. zu feiern oder zu begehen, in jedem Fall daran zu erinnern, Daten, Ereignisse und Personen vor dem Vergessen zu bewahren.
Dabei lässt sich eine Unmenge von Jahreszahlen ausgraben, die in irgendeiner Form mit der oberbergischen Vergangenheit zusammenhängen: Da sind die Ereignisse aus der politischen Geschichte, da sind die Herrschafts- oder Lebensdaten früherer Regenten oder öffentlicher Persönlichkeiten. Da sind die Daten zur Sozial- und Kulturgeschichte mit regionalem Bezug.
Klaus Pampus, unser verstorbener Ehrenvorsitzender, hat uns dazu 2011 seine Schrift hinterlassen: Oberbergischer Geschichtsfahrplan (Heft 6 der Materialien und Quellen zur Oberbergischen Regionalgeschichte). Seit unserem Sonderband Erstnennung oberbergischer Orte, ebenfalls aus seiner Feder, können Kommunen, Gemeinden, Flecken und Städte runde Geburtstage ihrer ersten Erwähnung begehen. Der Liebhaber von Geschichtszahlen kommt dabei voll auf seine Kosten und erweitert den Horizont seiner Allgemeinbildung.
Damit folgt der Verein dem Auftrag, den der oberbergische Landrat 1924 in der Vereinsgründung sah, dass sich nämlich auch auf dem Lande zunehmend Bildung ausbreite! Bei aller Freude an den Daten muss doch immer noch bedacht werden, dass die Auswahl aus der Fülle einen Selektions-prozess darstellt: Was halten wir für wichtig und der Erinnerung wert, was oder wer hat bis heute Bedeutung für unsere Region? Die Kommunen freuen sich allein schon am Alter, können sich gegenseitig ausstechen als die älteste oder ältere. Bei den Personen sind die Lebensdaten eher dem Zufall überlassen: Geburt, Tod oder Leistung.
Wir steuern auf die Jahreszahl 2021 zu, als vor rund 400 Jahren Adam Graf von Schwarzenberg (1583-1641) von Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg mit der Herrschaft Gimborn und dem Amt Neustadt in der Mark belehnt wurde. Lohnt es sich, an dieses Ereignis zu erinnern? Hat sich die Region seither als etwas Eigenständiges, Andersartiges als die Nachbarschaft herausgebildet? Wer spricht heute noch vom „Schwarzenbergischen Ländchen“, hatten die Grafen, späteren Fürsten von Schwarzenberg irgendeine Bindung an das Land oder waren sie nach 151 Jahren des Landes überdrüssig und froh, es noch günstig zu verkaufen? Verlangen wir da etwas, was zu jenen Zeiten unüblich war, einen Lokalpatriotismus? Menschen aus bürgerlichem Stand mochten sich wohl, wenn sie es zu etwas gebracht hatten, ihrer Heimat erinnern.
So ließ sich Adam Heinrich von Pollmann (1685- 1753), der brandenburgische Botschafter beim Reichstag in Regensburg, wo er verstarb, ausdrücklich als Neustädter aus der Mark (Neostadiensis Marcanus) auf dem dortigen Gesandtenfriedhof bestatten. Wer heute als Gummersbacher unterwegs ist und von seinem Herkommen spricht, wird in Deutschland allenfalls noch darauf angesprochen: ja, die Handball-Stadt – obwohl die Tage des Ruhms auch schon vergangen sind. Alles ist im Fluss, sagte der griechische Philosoph Heraklit, so ist es auch mit den geschichtlichen Bewertungen.
Wollen wir uns also 2020 an die Gründung des Deutschen Kaiserreichs vor 150 Jahren erinnern, oder ist ein zu lautes Getöse in dem Zusammenhang eher unangenehm, wollen wir in Europa eigentlich gar nicht an solche Kriegstage und Siegtage erinnert werden, die über Jahrzehnte Feiertage des Nationalismus, Militarismus oder Chauvinismus waren? Hat man nicht 2015 sehr diskret die Schlacht von Waterloo 1815 unter den Tisch fallen lassen, um nicht das deutsch-französische Verhältnis zu stören und alte Ressentiments zu wecken? Sind die alten Erinnerungen nicht manchmal sogar eine Voreingenommenheit, die durch Gedächtnisfeiern verewigt werden? Erinnern sich Ungarn, Österreicher und Polen anders an Begegnungen mit Muslimen in ihrer Geschichte als die Westeuropäer, die keine Türkenkriege zu bestehen hatten? Mal scheint es bedauerlich, dass alter Ballast immer noch mitgeschleppt wird, mal ist es verwunderlich, dass alte Erinnerungen ganz vergessen sind.
Dazu regen auch die zahlreichen Artikel der letzten Zeit an, die uns an frühere Epidemien erinnern, die übers Land – auch über Oberberg gezogen sind. Dabei muss man nicht nur an die Pest des Mittelalters denken oder die Cholera des 19. und 20. Jahrhunderts, auch die Grippewellen
(„Spanische Grippe, Russische Grippe, Asiatische Grippe, Hongkong- Grippe“), wären da zu nennen. Lässt sich mithilfe der Geschichte doch für die Zukunft etwas lernen, wie den apokalyptischen Reitern zu begegnen ist: Krieg, Hunger, Not, Pest und Tod?
Noch ein Beispiel alter Erinnerung und erhaltenen Bewusstseins ist der Umstand, dass im Nahen Osten bei jeglicher Stellungnahme oder Einmischung westlicher Länder zur gegenwärtigen Politik von den Kreuzrittern die Rede ist, eine Geschichte die auch schon 1000 Jahre zurückliegt. Ähnlich alt ist die Geschichte des Grafen Adolf III. von Berg (1189 – 1218), der auf dem Kreuzzug in Damiette in Ägypten umkam – möglicherweise an einer orientalischen Seuche, die man „natürlich“ nur allzu leicht dort einfangen oder mit nachhause bringen konnte. Hätten wir an den alten bergischen Kreuzritter erinnern sollen, oder ist das auch nicht opportun?
Die Naturfreunde durchstreifen die Natur, entdecken Schönes, Seltenes, Bedrohtes. Wir Geschichtsfreunde streifen durch die Vergangenheit, sehen, was andere übersehen, entdecken Zusammenhänge und verstehen so besser, die Welt in der wir leben, deren geschichtliche Wellen auch bis Oberberg geschwappt sind und Spuren hinterlassen haben im Gelände wie in den Köpfen, in Archiven wie in der Sprache, in Grabsteinen und Flurnamen. So erkennen wir die „Drachenzähne“ in der Kuhwiese, die einst die amerikanischen Panzer aufhalten sollten, wir wissen, warum ein asphaltierter Parkplatz zum Englischen Garten heißt, eine Bäckerei an ihrer Hauswand Pharmazeuten bei der Arbeit zeigt und warum ein heutiger Bauernhof ein Glockentürmchen hat….

Wie mögen unsere Nachgeborenen über diese aktuelle Krise denken, werden sie in 100 Jahren noch daran denken? Museen gehen schon her und sammeln Relikte der Krise, z.B. die „Toilettenpapierrolle 2020“.

Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in guter Gesundheit!

Ihr A. Rothkopf

Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf