Ab in den Tagebau! – BGV Oberberg besucht den Braunkohletagebau Garzweiler und Jüchen

Bevor das BGV-Beiratsmitglied Dr. Axel Bayer nach Gummersbach kam, war er lange Jahre als Archivar der Gemeinde Jüchen am Niederrhein tätig. Seine alten Kontakte nutzte er gewinnbringend für die erste Tagesfahrt am 27. April 2019 des Bergischen Geschichtsvereins in diesem Jahr. Obwohl das Oberbergische ja bekanntlich nicht zur unmittelbaren Umgebung des Rheinischen Kohlereviers gehört, konnte er RWE Power zu einer interessanten Gruppenführung im Tagebau Garzweiler überreden. Und auch für die Führung in der Jüchener Hofkirche stand mit Irmgard Coenen eine alte Bekannte als fachkundige Expertin zur Verfügung. Die Geschichte des Holocaust-Denkmals auf dem jüdischen Friedhof in Jüchen hat Herr Dr. Bayer selbst erforscht.
Jeder spricht von der Zukunft der Kohle als Energieträger für die deutsche Stromversorgung, hier steht besonders die Braunkohle, die in Deutschland noch in großen Mengen gefördert und in Großkraftwerken verbrannt wird, im Fokus. Im deutschen Strom-Mix ist sie mit fast einem Viertel vertreten, Braunkohlekraftwerke stellen die Grundlastversorgung sicher. Allein im Rheinischen Braunkohlerevier werden im laufenden Betrieb der Tagebaue Hambach, Garzweiler und Inden ca. 100 Mio. Tonnen pro Jahr abgebaut. Ein Teil der Ausbeute wird zu Kohlenstaub und Koks verarbeitet und an Kunden in der Zement-, Papier- oder Zuckerindustrie verkauft.
Im Gegensatz zur Steinkohle kommt Braunkohle in oberflächennahen Erdschichten vor. Trotzdem fallen neben der Kohle auch noch riesige Mengen Abraum an, die als Deckgebirge und als Zwischenschichten zwischen den Kohleflözen vor der Kohleförderung entfernt werden müssen.
Ein weiteres Problem ist das Grundwasser, das mit leistungsstarken Pumpen vor und während der Förderung abgeleitet werden muss. Immerhin hat der Tagebau Hambach eine Tiefe von 450 Metern. Mit einem ausgeklügelten Wassermanagement muss verhindert werden, dass Flüsse und Feuchtgebiete austrocknen, aber auch die auf den fruchtbaren Lössboden betriebene Landwirtschaft und die Städte und Dörfer der Region bis nach Holland unter Wasserknappheit leiden.

Theoretische Einführung im Info-Center

Zunächst wurde die aus 47 Mitgliedern und Gästen bestehende Besuchergruppe des Bergischen Geschichtsvereins im Informationszentrum der RWE Power, dem Betreiber des Braunkohle-Tagebaus im Rheinland, in Frimmersdorf empfangen. Nach einem einstündigen Vortrag, in dem die Entwicklung und die weiteren Perspektiven der rheinischen Kohleförderung anschaulich erläutert wurden, brachen die Besucher aus Oberberg dann zu einer zweistündigen Besichtigungsfahrt in den Tagebau Garzweiler auf. Der Weg führte vorbei an kilometerlangen Förderbändern und beeindruckenden Verlade- und Verteilstationen.
Vom Rande des Tagebaus in luftiger Höhe konnte man sich ein Bild von der immensen Größe der Abbaufläche machen, die in scharfem Kontrast zum Grün der umgebenden Felder und Wälder steht. Selbst die größten Bagger mit einer täglichen Förderleistung von 240.000 Tonnen verlieren sich in der weiten Terrassenlandschaft. Den Besuchern wurde schnell klar, wie intensiv der Tagebau in das Landschaftsbild der Region eingreift. In ganz Deutschland sind wegen der Braunkohleförderung mehrere Hundert Dörfer und Ortschaften verschwunden, über 120.000 Menschen mussten in andere Orte umziehen.

Rekultivierte Fläche mit Wiedereinzug der Landwirtschaft

Umfangreiche Rekultivierungsmaßnahmen begleiten die Förderung der Braunkohle. Vor dem Abbau werden Tiere und Pflanzen in neue Lebensräume umgesiedelt, die ausgekohlten Gebiete werden wieder mit Abraum gefüllt und aufgeforstet oder nach einer längeren Übergangszeit, die der Bodenerholung dient, wieder der Landwirtschaft zurückgegeben. Schließlich flutet man die Restlöcher, die der Tagebau hinterlässt, nach und nach zu großen Seen, die nicht nur der Steuerung des regionalen Wasserhaushalts dienen, sondern auch Naherholungsgebiete für die rheinischen Großstädte Köln, Bonn, Düsseldorf und Mönchengladbach schaffen sollen.
Um viele Informationen und Eindrücke bereichert, stärkten sich die Fahrtteilnehmer bei Schnitzel, Fisch und vegetarischen Gerichten im Jüchener Ortsteil Kelzenberg.
Die ehemalige Gemeinde Jüchen, seit Januar 2019 Stadt im Rhein-Kreis Neuss, hat wie auch andere Orte in der Region Erkelenz-Grevenbroich-Bedburg große Teile ihres Gebietes (u.a. auch das namensgebende Dorf Garzweiler) an den Tagebau im Nordrevier verloren. Es entstanden zwar neue Ortsteile mit moderner Infrastruktur, in die Bewohner der abgebaggerten Orte umzogen, und es wurden auch im Tagebau und den Zulieferbetrieben direkt oder indirekt viele neue Arbeitsplätze geschaffen. Andererseits wächst aber auch die Sorge darüber, was nach der Braunkohle kommt.
Der Ort Jüchen, bereits seit vorgeschichtlicher Zeit besiedelt, diente den Römern, die ihm den Namen „villa jucunda“ gaben, und später den Franken als Wohnstatt. Seine sichere Ersterwähnung geht auf das Jahr 1273/74 zurück, obwohl schon 866 hiesiger Landbesitz des Klosters Prüm bezeugt wurde. An der Grenze zu Kur-Köln gelegen, gehörte der Ort bis ins 18. Jh. zum Herzogtum Jülich.
Herr Dr. Bayer führte die Gruppe nach dem Mittagessen zunächst zu der Hauptsehenswürdigkeit von Jüchen, dem Haus Katz. Mit großem finanziellen Aufwand vor einiger Zeit renoviert und saniert, beherrscht die ehemalige Wasserburg, die zu Beginn des 18. Jh. vom Jülicher Amtmann Paulus von Katz auf den Ruinen einer mittelalterlichen Anlage als Verwaltungs- und Gerichtssitz errichtet wurde, das Zentrum von Jüchen. Der Wassergraben ist mittlerweile verlandet. Im Hauptgebäude der Burg, die ursprünglich von zwei Vorburgen geschützt wurde, befinden sich heute Ratssaal und Trauzimmer.
Weiter ging es zur evangelischen Hofkirche, deren missverständlicher Name darauf hinweist, dass sie im 17. Jh. nicht in exponierter Lage prächtig erbaut wurde, sondern unauffällig im Hinterhof nur als Bet- und Predigthaus – zunächst ohne Glockenturm und Geläut – einer kleinen vom niederländischen Calvinismus geprägten Kirchengemeinde geduldet wurde, die in einem überwiegend katholischen Umfeld ihr Leben aus dem Verborgenen gestaltete.

Evangelische Hofkirche Jüchen

Auch heute noch von außen in grauem Putz eher unscheinbar, weist der Sakralbau mit seinem goldenen Posaunenengel auf den apostolischen Auftrag der Wortverkündigung hin. Der 1976 zum 300jährigen Kirchenjubiläum renovierte Bau erstrahlt im Inneren in hellem Weiß, das in angenehmem Kontrast zu den bunten Farben der hölzernen Ausstattung (Wandtäfelung und Kanzel im Altarraum, Orgelgehäuse usw.) steht.
Als letzter Punkt stand der Besuch des ehemaligen jüdischen Friedhofs aus Garzweiler, der im Rahmen der Ortsverlegung eine neue Bleibe auf dem Jüchener Kommunalfriedhof fand, auf dem Programm. Hier erhebt sich auch – von Jüchener Bürgern gestiftet – eines der ältesten Mahnmäler zum Gedenken an die Opfer des Holocausts.
Ein gemeinsames Kaffeetrinken in Grevenbroich-Kapellen beschloss einen abwechslungsreichen Ausflug in die Vergangenheit und Gegenwart der Niederrheinischen Bucht mit ihren wechselhaften Zeitläuften.
Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf