Zweitagesfahrt in die deutsche Kleinstaaterei

Am frühen Morgen, Samstag, 18. Mai 2019, brach die fast 40-köpfige Gruppe des BGV Oberberg ins Waldecker Land auf. Entgegen der sonst üblichen Tradition, die Exkursion mit einem Bonbönchen, das nicht im Programm stand zu beenden, begann die Fahrt mit diesem. In Diemelstadt-Rhoden wurde das frisch renovierte Schloss besichtigt

Schloss Rhoden

und der tolle Ausblick weit ins Nordhessische Bergland genossen.Vor dem Umzug 1722 in ihr neues Residenzschloss in Arolsen, wohnten die Fürsten Waldeck-Pyrmont in Rhoden. Daher war der Aha-Effekt bei der Vorfahrt mit dem Bus in Arolsen gegeben, als man sah, um welchen Grad an Luxus, Eleganz und barocker Pracht sich der Wohnkomfort für die Familie Waldeck verbesserte. Diesem spürte die Gruppe auf einer ausführlichen Besichtigung nach.

Dass das Thema Staatsschuldenkrise jahrhundertelang in der Waldeckischen Geschichte eine große Rolle spielte, konnte nun ganz konkret mit Ursache und Wirkung nachvollzogen werden.

Schloss Arolsen

Dass Waldeck sich als Staat bis 1929 viel länger als die langjährigen mächtigen Nachbarn Kurhessen, oder das kurkölnische Sauerland in der Geschichte behaupten konnte, ist eine Besonderheit die den großen Reiz dieser historischen landeskundlichen Fahrt ausmachte. Nach einer Stärkung im Hofbrauhaus, der ältesten Brauerei im heutigen Hessen, ging es zur Stadtbesichtigung. Dabei wurde den berühmten Söhnen Waldecks nachgegangen. Wilhelm von Kaulbach und Christian Daniel Rauch, deren beider Geburtshäuser noch heute in Arolsen zu besichtigen sind. Das Christian Daniel Rauch-Museum im ehemals fürstlichen Marstall zeigt in vielen Abgüssen eindrucksvoll das Œuvre des bedeutendsten deutschen Skulpteurs des 19. Jahrhunderts, der z.B. mit der Grabtumbe der Königin Luise, oder dem Reiterstandbild Friedrichs des Großen unter den Linden, maßgeblich an der Verschönerung Berlins mitwirkte.

Gotischer Altar mit Leben Jesu

Mit der Fahrt nach Netze und der Besichtigung der ehemaligen Klosterkirche machte die Gruppe einen geschichtlich und kunsthistorischen Salto rückwärts von über 500 Jahren. Die ehemalige Klosterkirche der Zisterzienser beherbergt einen gotischen Flügelaltar von um 1370 und in der benachbarten St. Nikolauskapelle die Grablege des Hauses Waldeck. Beides wurde uns von Herr Kann sehr schön und eindrücklich nahegebracht. Der Altar enthält die älteste Wiegendarstellung der deutschen Kunstgeschichte. Von Netze aus war die Gruppe in ein paar Minuten in ihrer „Residenz“ für die Nacht angekommen: Schloss Höhnscheid. Nach dem Abendessen berichteten Herr und Frau von Hirschheydt als Vertreter des Eigentümers – der baltischen Ritterschaften – einiges zur Geschichte von Haus und Ritterschaften. Der Tag mit seinen vielen Eindrücken klang bei einem guten Wein in der Bibliothek aus – zumindest bei den Teilnehmern, die noch nicht im Bett lagen und schon vom Residenzschloss Arolsen träumten.

Abschied von Höhnscheid

Nach dem sonntäglichen Frühstück ging es zum nahegelegenen Edersee. Die baltische Geschichte des Vorabends zeigte noch Wirkung, indem eine Reiseteilnehmerin im Bus sagte: „Ich habe das Gefühl, wir fahren durchs Baltikum“. Die großen Felder und der weite Blick taten sicher ein Übriges dazu. Zudem ist der Landkreis Waldeck-Frankenberg als größter hessischer Landkreis doppelt so groß wie der Oberbergische Kreis und deutlich weniger besiedelt. Nach einem kurzen Halt an der Staumauer, die am 17. Mai 1943 durch eine britische Rollbombe so stark beschädigt wurde, dass eine Flutwelle durchs Edertal viele Orte zerstörte und 68 Menschen tötete, konnte ein Blick auf den zweitgrößten Stausee der Bundesrepublik geworfen werden – und auf‘s nächste Ziel – die hoch über dem See gelegene Burg Waldeck. Bei der Besichtigung hörte die Gruppe die sicherlich interessanteste Brunnengeschichte sämtlicher Exkursionen.

Burg Waldeck über dem Edersee

Zwei zu lebenslanger Haft verurteilte Häftlinge bekamen den Auftrag zum Brunnen graben mit der Aussicht auf Freiheit wenn sie auf Wasser stoßen sollten. Das geschah nach 20 Jahren. Davon wurden sie die ersten 10 Jahre abends wieder hoch gezogen, die zweiten 10 Jahre blieben sie ständig im Brunnenloch. Nach dem Mittagessen mit Blick auf den See, ging es weiter nach Bad Wildungen. Dort schaute die Gruppe in die Stadtkirche mit dem Flügelaltar des Conrad von Soest und der ersten Brillendarstellung der deutschen Kunstgeschichte. Das Epitaph von Graf Josias, tödlich verwundet im Kampf gegen die Osmanen auf Kreta, zeigt beeindruckende Darstellungen von türkischen Kriegern des 17. Jahrhunderts. Nach einer Stadtrundfahrt durch die Kurbezirke von Bad Wildungen stand Schloss Friedrichstein auf dem Programm. Nach der Besichtigung der Ausstellung, die die Militärgeschichte von Hessen-Kassel und auch eine reiche Türkenbeute zeigt, (die sonst vergleichbar nur in Dresden, Wien, Karlsruhe oder Krakau zu finden ist) wurden Kaffee und Kuchen im Barocksaal eingenommen – symbolisch unter Deckenfresken, auf denen kleine Putti den guten Stern trugen unter dem diese Reise stand – nämlich den achtstrahligen Stern von Waldeck.
Text: Marcus Dräger, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf