„Eine zusammengelaufene Bande von wahrem Lumpengesindel“

So wertete ein Elberfelder Friedensrichter einst den schnell beendeten Aufruhr der „Knüppelrussen“ in den Monaten vor Beginn der sogenannten Befreiungskriege vor 200 Jahren. Der Ausspruch fand sich wieder im Titel eines gut besuchten Vortrags, den die Gießener Historikerin Dr. Bettina Severin-Barboutie über die sozialen Proteste im Bergischen in der Endphase der napoleonischen Herrschaft hielt.

Frau Dr. Severin-Barboutie

Frau Dr. Severin-Barboutie

Eingeladen hatten für den 19.7. in die AWO am Markt in Waldbröl die oberbergische Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins und der Waldbröler Kulturtreff. Die lokale Komponente des Themas (vgl. den Bericht vom Anfang des Jahres) war der Referentin u.a. durch einen vorangehenden Besuch der am Hotel Römer im März angebrachten Gedenktafel vertraut. Im Rahmen des Gedenkens an das auch lokalgeschichtlich ereignisreiche Jahr 1813 gewannen die Ausführungen der Vortragenden über das Großherzogtum als Modellstaat Napoleons und das Entstehen der sozialen Proteste besonderes Interesse.

Der Herrscher bei seiner Abdankung

Der Herrscher bei seiner Abdankung

Die Vortragende bezog sich im ersten Teil auf die Erkenntnisse ihrer 2008 als Band 85 der „Pariser Historischen Studien“ veröffentlichten Dissertation „Französische Herrschaftspolitik und Modernisierung“ und auf das Ergebnis ihrer Quellenstudien in Frankreich. Es wurden einleitend die mit der Situation 1813 verbundenen Geschehnisabläufe in einzelnen bergischen Mairien und die auslösenden Momente bei den Konskribierten und weiteren Aufständischen erläutert. Dass allgemein im Süden des Bergischen die Wiederherstellung der alten Verhältnisse ein Ziel gewesen sei, ließ den Fall des unter dem Druck der Straße handelnden Gummersbacher Vogtes Pollmann in besonderem Licht erscheinen. Allgemein waren tiefere Ursachen neben der Furcht der Jüngeren vor der Einberufung in die geschlagene Armee aber vor allem die Unzufriedenheit mit der sich nach anfänglicher Akzeptanz zunehmend verschlechternden französischen Herrschaftspraxis, die sich durch die Kontinentalsperre verschlechternde wirtschaftliche Situation vor allem in den Unterschichten der Bevölkerung, die verschärfte Zoll- und Steuerpolitik, und als Auslöser für die Härte der Repression und den Einsatz der juristisch angefochtenen Militärkommissionen die herrschenden Befürchtungen in Paris, darunter die umlaufenden Verschwörungstheorien. Genauere Angaben über die Zahl der hier und da vollstreckten Todesurteile an sogenannten einzelnen Rädelsführern, neben jenen in Solingen, Elberfeld, Gevelsberg und Waldbröl, fanden sich in den Akten nicht. Auch wurden die Sanktionen oft durch Solidarisierung auf deutscher Seite, wie die Franzosen zu beobachten glaubten, wirksam unterlaufen. Die schnell beendeten Aufstände waren von französischer Seite eher im Großherzogtum Westfalen als im Großherzogtum Berg erwartet worden.

Die Büste des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.

Die Büste des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.

Kurz: Was sich rechtrheinisch in der kurzen Zeit mehrfach wechselnder Regierungshoheit als Regierungspraxis jeweils nach den Wechseln 1806, 1808 und 1810 entwickelte, blieb Stückwerk und wurde nach Ausbruch der unerwarteten Proteste von Überreaktionen der Staatsmacht, den Spannungen zwischen Düsseldorf und Paris sowie auch den Widersprüchen zwischen Modellstaatsabsichten und den kaiserlichen Herrschaftsinteressen bestimmt. Die juristisch fragwürdigen Erschießungen waren da nur ein Indiz.
Das rege und ergiebige Gespräch nach Ende des Vortrags ergänzte das Gehörte an wichtiger Stelle, etwa wo es um das Vorhandensein von frühem Patriotismus, die beginnende Rechtstaatlichkeit in damaliger Zeit oder die unparteiische Bewertung von Verhaltensweisen ging. Die in einer oberbergischen Kommune und ihrer Öffentlichkeit zeitweise emotionalisierte Beschäftigung mit einer zuerst 175, dann 200 Jahre zurückliegenden Epoche der Ortsgeschichte erschien der Historikerin als ein auch für die Wissenschaft durchaus beachtenswerter Vorgang.

Waldbröler Plakette

Waldbröler Plakette

Sie unterstrich abschließend die neue Wichtigkeit des Lokalen als Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Die zahlreich erschienenen Zuhörer aus dem Oberbergischen dankten mit lebhaftem Applaus. (ha)