Saudades do Brasil – der BGV Oberberg besucht die Akademie Brasil-Europa in Dieringhausen

18 Mitglieder und Freunde des Bergischen Geschichtsvereins besuchten am 15. März 2019 das Europa-Sekretariat der Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft (ABE) in Dieringhausen.

Das Institut befasst sich mit dem Studium interkultureller Prozesse über Landes- und Kontinentalgrenzen hinaus und versucht durch die Einbeziehung möglichst vieler wissenschaftlicher Disziplinen kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen weltweit transparenter darzustellen. Deswegen ist Prof. Antonio Alexandre Bispo, der Leiter der Akademie, besonders auf ein Netzwerk von ungefähr 500 Wissenschaftlern stolz, die ihren Beitrag zum Verständnis komplexer kulturgeschichtlicher Sachverhalte liefern. Kulturwissenschaften und Wissenschaftstheorie stehen im Mittelpunkt der Institutsarbeit und sollen nicht nur der Erforschung historischer Strukturen und Prozesse dienen, sondern auch Wege in die Zukunft aufzeigen (z.B. in Architektur und Stadtentwicklung, aber auch in Umwelt- und Naturschutz).

Die A.B.E. geht auf eine lange geisteswissenschaftliche Tradition zurück, die bis ins späte 19. Jh. zurückreicht. Russische Emigranten, darunter die Pianistin Tatiana Kipman, brachten, inspiriert von der mystischen Gedankenwelt der Theosophie und der Anthroposophie Rudolf Steiners, nach der Revolution die Anregung zur Untersuchung der west-östlichen kulturellen Beeinflussung mit nach Westeuropa und fanden in Salzburg im Umfeld des Dirigenten und Musikwissenschaftlers Bernhard Paumgartner Gleichgesinnte, die 1922 die Akademie Orient-Okzident gründeten.

Zu ihnen gehörten besonders der hochbegabte Musiker und Wissenschaftler Martin Braunwieser und der Komponist und Pianist Felix Petyrek. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung ging es ihnen vorrangig um die Erneuerung von Kunst und Kultur. Sie begeisterten sich schon früh für die Werke junger französischer Komponisten, die ihrerseits eine Vorliebe für Brasilien und die südamerikanische Musik entwickelt hatten (vgl. Darius Milhaud, Saudades do Brasil).

1928 zog die Akademie nach Braganca Paulista in Brasilien um. Im ländlichen Umfeld der Metropole Sao Paolo, in der sehr viele deutsche und italienische Immigranten lebten, die die Kultur ihrer Vorfahren in vielen Vereinen pflegten, fand man einen idealen Ort der Besinnung, um über kulturelle Erneuerung nachzudenken.

1968 wurde die heutige Akademie Brasil-Europa in Sao Paolo aus der Taufe gehoben und trat fortan als Organisation zum Studium von Kulturprozessen hervor. 1985 wurde ihre europäische Niederlassung eingetragen. In der Folgezeit veranstaltete sie viele Kongresse, Symposien und Konferenzen in Brasilien und vielen europäischen Ländern.

Das zuerst seit 1997 in Köln beheimatete Studienzentrum wurde 2006 nach Dieringhausen verlegt, wie schon 1928 in Brasilien in eine ländliche Region in der Nähe einer Großstadt. Veranstaltungen und Seminare fanden hier zwar in den letzten Jahren nicht mehr so häufig wie vorher statt, dafür bildet aber ein sehr informativer Internetauftritt eine Plattform für einen regen wissenschaftlichen Austausch. Daneben stehen eine umfangreiche Bibliothek mit über 20.000 Bänden und ein großes Musikarchiv mit Tausenden von Partituren und Tonträgern mit Musikaufnahmen interessierten Forschern zur Verfügung.

Die umfangreichen Sammlungen aus dem portugiesisch-sprachigen  Raum  sind im 1913 von dem Gummersbacher Architekten Heinrich Kiefer erbauten Haus Wollenweber untergebracht, einer sehr geräumigen Fabrikanten-Villa mit einem großzügigen Garten mit altem Baumbestand.  Heinrich Kiefer ist in der Region u.a. durch die Errichtung des Hohenzollernbads und des Steinmüller-Anwesens Haus Waldfried in Gummersbach und des Alten Rathauses in Ründeroth bekannt geworden. Der Mediziner Dr. Harald Hülskath, Geschäftsführer der Akademie und selbst Nachfahre der Familien Wollenweber und Sondermann, kaufte das Haus, das bis in die 30er Jahre des 20. Jh. der Familie Wollenweber gehört hatte, als Sitz der Akademie zurück.

Nicht nur beim anschließenden Kaffeetrinken, zu dem Prof. Bispo in den Vortragsraum der Akademie eingeladen hatte, sondern auch bei der Besichtigung des Hauses konnte sich die Besuchergruppe ein Bild von der durchdachten Baukunst der bergischen Architekten in der wilhelminischen Zeit machen. Typische Baumaterialien der Region wie Grauwacke und Schiefer kamen hier zum Einsatz. Neobarocke Stilelemente harmonieren mit der Formensprache des Jugendstils. Hohe Räume und große Fenster sorgen für Licht und Helligkeit, die Einbettung in einen parkähnlichen Garten, ursprünglich doppelt so groß wie heute, verbindet die Natur der angrenzenden Meerhardt mit den ehemaligen Gewerbebetrieben an der Agger. Ein wahrhaft idealer Ort für Kontemplation und Lebensnähe.

Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf

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