Auf den Spuren von Otto Bartning – BGV Oberberg besucht die Diaspora-Kapelle in Berghausen

Am 12. Juli 2019 trafen sich mehr als zwanzig Mitglieder und Freunde des Bergischen Geschichtsvereins und etliche Angehörige der ev. Kirchengemeinde in der Bartning-Notkirche in Berghausen, um einen Vortrag von Prof. Dr. Michael Werling, dem Denkmalschutz-Beauftragten des BGV Gesamtvereins, über den Architekten Otto Bartning und dessen Lebenswerk zu hören. Anlass war nicht nur der 60. Todestag des berühmten evangelischen Kirchenbaumeisters, sondern auch Pläne der Gemeinde in Berghausen, ihre Diaspora-Kapelle unter Denkmalschutz stellen zu lassen.

Prof. Werling referiert über Kirchenbauten nach dem zweiten Weltkrieg

Otto Bartnings Karriere begann bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Seine Weltoffenheit zeigte sich schon in jungen Jahren, als er sich im Architekturstudium zu einer achtmonatigen Weltreise aufmachte und dort so manche Anregung sammelte. Bald danach entwarf er seine ersten Kirchenbauten, z.B. für evangelische Gemeinden in Österreich-Ungarn, die in einem weitgehend katholischen Umfeld lebten. Schon hier zeigte sich, dass er in der Kirche nicht nur einen Ort des Gottesdienstes sah, sondern auch das Zentrum des Gemeindelebens schlechthin mit Pfarr- und Gemeindehaus.
Prof. Werling wies in seinem Vortrag auf die sich nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs radikal neu orientierende Kirchenarchitektur hin. Ein Beispiel dafür ist Bartnings Entwurf der Sternkirche, die, obwohl nie gebaut, die sakrale Architektur stark beeinflusst hat. An die Stelle des wilhelminischen Historismus waren moderne und lebensnahe Ideen und Strukturen getreten, Altar und Kanzel befinden sich inmitten der Gemeinde, profane Baumaterialien wie Stahl, Beton und Glas halten Einzug in den Kirchenbau.

Bartning, ein führender programmatischer Wegbereiter der Bauhausschule und auch in leitender Position im Deutschen Werkbund tätig, schuf immer wieder neue Räume der Spiritualität, sei es in Rundkirchen, wie der Auferstehungskirche in Essen, oder in der Umgebung angepassten Bauten, wie der Gustav-Adolf-Kirche in Berlin mit ihrem fächerförmigen Grundriss und den farbigen Lichtbändern, die Orte der Ruhe und Besinnung in einer hektischen Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung verfügbar machten.
Auch seine Sternkirche (1922) hatte Otto Bartning schon Notkirche genannt. Aber noch größer als die Not nach dem Ersten Weltkrieg waren die Herausforderungen und Leiden nach 1945. Viele Kirchen waren zerstört, viele Gemeinden mussten Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten aufnehmen. Zur wirtschaftlichen Not kam aber auch die Neuorientierung in einer verwüsteten Gesellschaft, viele im Krieg Traumatisierte suchten nach Halt und neuem Lebenssinn.

Typengleiche Bauweise in Ostdeutschland

Schon im Krieg war in den USA und in der Schweiz von den dortigen protestantischen Kirchen Geld gesammelt worden, um den Glaubensbrüdern in Deutschland beim Wiederaufbau ihrer Gotteshäuser zu helfen. Durch Vermittlung des Weltkirchenrates in Genf flossen diese Mittel nach und nach an das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland (HEKD). Es entstand das maßgeblich von Otto Bartning, jetzt Leiter der Bauabteilung des HEKD, mitgestaltete Notkirchen-Programm, in dessen Verlauf von 1948-51 mehr als vierzig Notkirchen entworfen und gebaut wurden. Wegen der Verlängerung des Projektes bis 1953 waren es mit den Diaspora-Kapellen am Ende über 100 Bauten.
Wie der Architekt Bernd Bassfeld, im Presbyterium der Kirchengemeinde Hülsenbusch für Bauaufgaben zuständig, anschaulich zeigte, lässt sich am Beispiel der Diaspora-Kapelle in Berghausen der Ablauf einer solchen Baumaßnahme gut nachverfolgen. Die Gemeinde musste ihre Notlage (hier: hohe Flüchtlingszahlen) und die Unmöglichkeit, den Kirchenbau aus eigenen Mitteln zu finanzieren, nachweisen. Zudem sollte sie einen großen Teil der Baukosten selbst durch Spenden, Mittel der Landeskirche, Eigenleistung der Gemeindemitglieder (Baumaterial, Arbeitsleistung) usw. aufbringen.
Wenn das einigermaßen gesichert war, konnte mit dem Bau der Kirche begonnen werden. Aus dem Notkirchen-Programm wurde die Stütz- und Dachkonstruktion aus Holz bezahlt, die vorgefertigten Teile (Dreigelenkbinder, Ständer, Fenster usw.) wurden vorgefertigt angeliefert. Für Grundstück, Fundament und Mauerwerk musste die Gemeinde selbst sorgen, hier half u.a. Bauland der Unternehmerfamilie Meyer-Jagenberg weiter. Dank der tatkräftigen Mithilfe der Einwohner und Handwerkerschaft konnte die neue Kapelle noch in der Adventszeit 1951 eingeweiht werden. Die Kostenaufstellung weist sogar noch einen kleinen Überschuss aus.
Die Einbindung der Gemeinden im Notkirchen-Programm ist auch der Grund dafür, dass keine Notkirche der anderen gleicht, sondern jede ihren individuellen Charakter hat. Die Gemeinde in Berghausen hatte ein Gebäude bekommen, das sich vielfältig nutzen ließ: Es war ein geräumiger Raum für Gottesdienste und Andachten, wegen der Ost- und West-Anordnung der Fenster immer richtig beleuchtet. Wie von Bartning beabsichtigt, verband sich die Spannung von Architektur und Liturgie mit dem Licht. Daneben konnte man einen durch klappbare Elemente zu vergrößernden Gemeinderaum für Feiern und Veranstaltungen herrichten, der Altarraum ließ sich durch Türen schließen. Der Vorraum der Kirche eignete sich für Unterricht und Sitzungen.

Innenraum

Nicht zu unterschätzen ist auch die soziale Wirkung des Kirchenbaus. Zum einen wurden die Dorfgemeinschaft gestärkt und hier auch konfessionelle Grenzen überwunden, denn auch ortsansässige Katholiken halfen fleißig beim Bau mit. Zum anderen gelang es hier auch schneller als anderswo, die Kriegsflüchtlinge und zugezogenen Arbeitskräfte der im Umfeld wachsenden Industrie nachhaltig zu integrieren.
Die Diaspora-Kapelle leistet nun seit fast sieben Jahrzehnten der ev. Gemeinde in Berghausen gute Dienste. Aber auch hier ist die Zeit nicht stehengeblieben, die Zahl der Gottesdienstbesucher und Gemeindemitglieder ist rückläufig, Pfarrstellen auf dem Land sind nur noch schwer zu besetzen. Deswegen trägt sich die Gemeinde in Hülsenbusch mit dem Gedanken, die Kirche in Berghausen aufzugeben und einem anderen Zweck zuzuführen (Kolumbarium, Künstlerwerkstatt, Jugendheim usw.).
Außerdem möchte die Gemeinde die Kapelle, die seit ihrer Errichtung nahezu unverändert erhalten geblieben ist, unter Denkmalschutz stellen lassen. Prof. Werling, mit dessen Hilfe der Antrag beim Landschaftsverband Rheinland gestellt werden soll, wies auf die besondere architekturgeschichtliche Bedeutung des Gebäudes hin.
Der Abend klang für die BGV-Mitglieder bei einem gemütlichen Beisammensein mit Imbiss und Getränken im wunderschönen Fachwerkhaus der Familie Fahrig aus, das nur einen Steinwurf von der Kirche entfernt steht.

Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf