„O dass ich tausend Zungen hätte“ – Besuch des BGV Oberberg im Bergischen Drehorgelmuseum

Der letzte Besuch lag mehr als ein Jahrzehnt zurück. Und so war es wieder mal an der Zeit, dass eine aus 25 Mitgliedern und Gästen bestehende Gruppe des Bergischen Geschichtsvereins am 26. Juli 2019 den Weg nach Marienheide-Kempershöhe fand. Hier residiert das weit über die Grenzen des Oberbergischen bekannte Drehorgelmuseum des Theologen und ehemaligen Pfarrers Dr. Ullrich Wimmer. Seit 2008 haben dort Hunderte von Drehorgeln, Spieldosen und -truhen, Orchestrien und anderen mechanischen Musikinstrumenten aus drei Jahrhunderten in einer entwidmeten Kapelle eine würdige Bleibe gefunden. Der Museumsgründer hat diesen Ort mit viel Feingefühl auf seine jetzige Aufgabe als Heimstatt einer vergangenen und dennoch sehr lebendigen Musiktradition vorbereitet.

Einführung durch Dr. Ulrich Wimmer – Gang durch die Geschichte der mechanischen Musikinstrumente

Und die Sammlung wächst weiter. Tausende von Besuchern aus nah und fern haben die illustre Kollektion schon gesehen und auch ihre Schmuckstücke in den sehr beliebten Museumskonzerten gehört. Seit neuestem darf sich das Museum auch mit dem Titel des Immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO schmücken.
Mit großer Fachkunde und trotzdem leicht verständlich erläuterte Dr. Wimmer den Werdegang der kleineren Schwestern der großen Kirchenorgeln. Beeindruckend ist das Innenleben der bisweilen winzigen Spieluhren, die mit größter handwerklicher Präzision von wahren Künstlern der Feinmechanik geschaffen wurden. Obwohl sie schon vor vielen Jahrzehnten entstanden sind, erfüllen sie ihre Aufgaben wie am ersten Tag und entführen den Zuhörer in eine Zeit, in der Musik keine Massenware, sondern etwas Besonderes, ein „seltenes Gut“ war. Dem Reiz dieser mechanischen Wunderwerke vermag sich kaum jemand zu entziehen. Der reine und kräftige Klang der Tonkämme und Orgelpfeifen kann auch heute noch den verwöhnten Musikfreund in seinen Bann schlagen.
Darüber hinaus hat jedes Instrument seine spezielle Geschichte, sei es als – zeitlicher – Vorläufer der Musikbox in Gasthäusern, als kunstvoll gearbeitete Musiktruhe mit austauschbaren Walzen oder Platten in gutbürgerlichen Haushalten oder als Medium der Zerstreuung für Arme in Mietskasernen und Hinterhöfen. Immer prägten die Instrumente ihre jeweils typische Musikkultur und vermochten auch versteckte politische Botschaften zu transportieren, wie Ullrich Wimmer an einer 1850 im Badischen entstandenen Orgel demonstrierte, deren bewegliche Bildfiguren auf die gescheiterte Revolution der Vorjahre anspielen.

Spieluhr aus dem 18. Jahrhundert

In der Welt der Musikautomaten ging es aber nicht nur manchmal derb und handgreiflich zu. Manche der gezeigten Instrumente, winzig und aus Gold gefertigt, überraschen durch ihr filigranes Erscheinungsbild und den hauchzarten, kaum wahrnehmbaren Klang ihres Spielwerkes. Als Berlocken, Anhänger an Uhrketten, oder Ringe mehrten sie das Ansehen ihrer Besitzer. Wie das Beispiel in Gottfried Kellers „Sinngedicht“ (Die Berlocken) zeigt, inspirierten diese Preziosen auch die Fantasie der Belletristik.
Mit dem Aufkommen des Rundfunks in den frühen Zwanzigern des 20. Jh. verloren Drehorgeln und Spieluhren im Musikleben deutlich an Einfluss. In der NS-Zeit waren Drehorgeln sogar ganz verboten, das Regime fürchtete den scharfen Mutterwitz ihrer Lieder. Aber in der Nachkriegszeit zeigte sich, dass die Menschen sie nicht vergessen hatten, auch heute berührt ihr Wohlklang den gestressten Menschen des Digitalzeitalters und gibt ihm innere Gelassenheit.
Nach diesem kurzweiligen und lehrreichen Vortrag mit zahlreichen Musikbeispielen ließ die Besuchergruppe den Nachmittag im Hofcafé Kaffeekännchen an der Lingese-Talsperre bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen im besten Sinne des Wortes ausklingen.
Text: Harald Meißner Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf

Drehorgelmuseum Kempershöhe