BGV in Coronazeit VII – Medizingeschichte in Oberberg

In den letzten Beiträgen haben wir uns anlässlich der Coronakrise mit dem Gesundheitswesen in Oberberg beschäftigt, sind dabei auf Pioniere und Praktiker gestoßen, die sich hier einen hervorragenden Ruf erwarben und mit einem Straßennamen geehrt wurden. Dabei fiel der Blick auch auf überörtliche Persönlichkeiten aus der medizinischen Forschung und Versorgung, die ebenfalls mit Straßennamen geehrt wurden. Dieser Rückblick auf ca. 170 Jahre Medizingeschichte führt uns auch den enormen Fortschritt vor Augen, der sich seither eingestellt hat.
Ein Phänomen, das wir im 19. Jahrhundert feststellen können, ist die Gründung von Krankenhäusern, d.h. anfangs entstehen solche Einrichtungen vielfach in privater Initiative oder durch Stiftungen. Dabei fällt auf, dass praktische Ärzte auch die Leitung solcher Krankenhäuser übernehmen, die Fächer der Medizin sind noch lange nicht so ausdifferenziert wie in heutiger Zeit. Auf dem Lande überwiegt der „praktische Arzt und Geburtshelfer“, er ist der Alleskönner für die Belange des Alltags auf dem Land, wo Unfälle, Erkältungen, Verletzungen und gelegentliche Seuchenwellen seine Kunst herausfordern. Noch wird zwischen dem Wundarzt und dem Mediziner unterschieden, vielfach läuft die Ausbildung über das Sanitätswesen des Militärs, da auch dort immer wieder Ärzte gebraucht werden bei anhaltend kriegerischen Zeiten.
Für das Jahr 1849 konnten wir Dr. Ludwig Winkel entdecken, der in seinem Privathaus oder einem Anbau in Gummersbach an der Brückenstraße 9 Geisteskranke aufnahm und sie dort bis zu seinem Weggang nach Köln-Mülheim 1862 betreute. Als dann 1884 das erste städtische Krankenhaus in Gummersbach erbaut wurde, konnte dort Dr. Franz Nohl auch seine Praxis einrichten, d.h. Praxis und Krankenhaus liefen parallel. Schon aus räumlichen Gründen war alles noch sehr beengt. Erst der Neubau des städtischen Krankenhauses 1899 schaffte mehr Platz. In dem Haus an der Emilien-Straße konnte Frau Nohl noch ein Pensionat einrichten, eine Höhere Töchterschule, in der auch Haushalt und Kinderpflege vermittelt wurde.
In Dieringhausen betrieb Dr. Richard Sondermann sowohl eine Praxis als praktischer Arzt, spezialisierte sich aber auch auf die Fächer Augenheilkunde und HNO, was er sogar noch neben seiner Landarzt-Tätigkeit vertiefte, nicht zuletzt durch akademischen Austausch und Forschung. Als er seine Allgemeinpraxis aufgab, konnte er die fachärztlichen Abteilungen an jüngere Ärzte abgeben, er selbst trat in fortgeschrittenem Alter die Leitung des städtischen Krankenhauses in der Brückenstraße an, während der Sohn des Dr. F. Nohl seine allgemeinärztliche Praxis in Dieringhausen übernahm. In diesem Hause hatte Dr. Sondermann auch ein Krankenhaus eingerichtet mit den Spezial-Abteilungen Augen und HNO, er sprach von seinem Krankenhaus.

In Morsbach stoßen wir auf die Arztfamilie Kaufmann, beginnend mit Dr. Oswald Kaufmann, dem Sanitätsrat, der auch als Belegarzt im Neuen Krankenhaus Maria Hilf ab 1902 tätig war. Er hatte drei Söhne, die alle denselben Beruf ergriffen. In der nächsten Generation treffen wir in Morsbach auf Dr. Karl Kaufmann, der dort als Praktischer Arzt tätig war. Seine Brüder waren Dr. Robert Kaufmann in Freudenberg und Dr. Alfred Kaufmann in Cochem.
Ihm folgte im Beruf auch sein Neffe Dr. Oswald Kaufmann jun., der einen abenteuerlichen Lebensweg beschritten hat. 1915 geboren war er auch Teilnehmer im 2. Weltkrieg und wurde in Russland in der Gefangenschaft Lagerarzt. Nach Kriegsgefangenschaft und Entlassung 1949 lebte er in Hamburg als Chirurg am Universitätsklinikum. Von dort knüpfte er Beziehungen nach Südamerika, wo er in Peru ein Urwaldhospital in Coima für 50.000 Indios aufbaute. Von ihm wurde berichtet als „dem Albert Schweitzer Perus“. Wesentliche Aufgabe war dort die Seuchenbekämpfung. Seine Bitten um Unterstützung verhallten weder in Morsbach noch im Oberbergischen Kreis, noch beim Bundespräsidenten, ungehört. 1966 warb noch der Spiegel für sein Hospital. Dort wurde er mittlerweile von internationalen Organisationen mit Geld und Helfern unterstützt.
Vier Ärzte Kaufmann am selben Ort wären wohl für das kleine Morsbach zu viel gewesen, also strebten sie heraus. Die Zurückgebliebenen engagierten sich sozial und politisch. Das Krankenhaus Mariahilf wurde im Wesentlichen von Franziskanerinnen geführt – wie um die Jahrhundertwende üblich, war es auch Pflegeanstalt und Waisenhaus. Die Ärzte fungierten als Belegärzte, die ihre Patienten im Haus unterbrachten, nachdem sie sie zuvor in ihrer Praxis ambulant behandelt hatten. Dieses System endete 1974, als das Krankenhaus geschlossen wurde. Der Urwalddoktor Oswald Kaufmann jun. verstarb 1979 mit 64 Jahren in Peru, wo sein Hospital Andino in Coima weitergeführt wird durch eine internationale Crew. Drei Töchter pflegen dort sein Andenken. 1980 erinnerte das Deutsche Ärzteblatt an den Verstorbenen, der offenbar auch zuhause noch nicht vergessen war. Die Ärzte der Familie Kaufmann waren auch schon in der Heimat sozial und politisch engagiert, hatten Funktionen in der Gemeinde und im Kreistag. Für den Sanitätsrat Dr. Oswald Kaufmann sen., der auch Bahnarzt in Morsbach war, kam 1915 eine Anerkennung von allerhöchster Stelle, ein kaiserlicher Orden für 25jährigen Dienst, der noch in der Familie verwahrt wird. Die Keimzelle, das Haus der Familie, steht noch in der Bahnhofstraße, wo schon lange kein Zug mehr hält. A.R.

Fotos: Christoph Buchen

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