Als der schon 1814 abgedankte französische Kaiser Napoleon, nach der Herrschaft der 100 Tage 1815 von der Koalition seiner Gegner in der Schlacht bei Waterloo endgültig besiegt und fortan auf der entlegenen Insel St. Helena im Südatlantik vor der westafrikanischen Küste interniert, nach sechsjähriger Verbannung am 5. Mai 1821 verstarb, war seine Ära längst beendet und Europa hatte sich auf dem Wiener Kongress eine neue politische und territoriale Ordnung gegeben. Die Sieger nahmen sich ihren Teil; Preußen, dessen Stellung im Frieden von Tilsit 1807 beinahe existenzbedrohend geschmälert worden war, kehrte zu alter Größe zurück und konnte seine Position im Westen Deutschlands mit der Gründung der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz erheblich ausbauen. Die Mitläufer des Korsen, zunächst 16, später deutlich mehr mittlere und kleine Herrschaftsgebiete, seit 1806 im Rheinbund zusammengeschlossen und die größeren von seinen Gnaden sogar zu Königreichen oder Großherzogtümern erhoben, behielten einen beträchtlichen Teil ihrer Errungenschaften, wenn sie rechtzeitig die Seiten gewechselt hatten. Das Zeitalter der Restauration und der Heiligen Allianz hatte begonnen, Deutschland träumte im Biedermeier.
Das Großherzogtum Berg, Gründungsmitglied des Rheinbundes und anfangs von Napoleons General Joachim Murat verwaltet, hatte allerdings nur eine kurze Lebensdauer und verschwand 1813 von der politischen Landkarte. Von Napoleon neben dem Königreich Westfalen und dem Großherzogtum Frankfurt als Modellstaat vorgesehen, das den deutschen Fürsten die Vorzüge einer modernen Staats-, Rechts- und Wirtschaftsverfassung nach französischem Muster vor Augen führen sollte, konnte es diesen Anspruch in den sieben Jahren seiner Existenz nur sehr eingeschränkt erfüllen. Zu schwerfällig war der Reformprozess, als dass er eine große Wirkung entfalten konnte. Code Civil und Code Pénal wurden hier erst 1810 eingeführt. Seine Bewohner sahen sich trotz einiger Vorteile eher als Geldgeber für Napoleons Kriege. Die 5.000 Soldaten, die das Großherzogtum der Grande Armée stellte, zahlten einen hohen Blutzoll, nicht einmal ein Zehntel kehrte 1813 aus Russland zurück. Man war erleichtert, als die letzten französischen Soldaten die Rheinbrücke in Düsseldorf in Richtung Frankreich überquerten. Spätestens seit 1798 war das Rheinland in seiner politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gespalten. Die linksrheinischen Gebiete wurden von Frankreich annektiert, 1801 verzichtete das dahinsiechende Heilige Römische Reich Deutscher Nation endgültig im Frieden von Lunéville. In den Folgejahren entstanden hier vier neue Departements (Roer, Rhein-Mosel, Donnersberg und Saar). Die Franzosen waren entsetzt über die rückständigen Strukturen der neuerworbenen Landstriche: Ständestaat und Zunftordnungen, Kleinstaaterei, Währungsvielfalt und Zollgrenzen, viele unterschiedliche Maße und Gewichte – hier gab es kaum etwas zu reformieren. Also wurden die Neuerwerbungen schnell in den französischen Staatsverband und sein Verwaltungssystem integriert. Es herrschte im ganzen Land gleiches und einheitliches Recht, die staatliche Zentralgewalt war straff organisiert und überaus effizient, die Bürger waren vor dem Gesetz gleich und – meistens – vor Willkür geschützt. Handel und Gewerbe wurden nicht durch inländische Zollgrenzen behindert, die vom Gesetz garantierte Gewerbefreiheit verschaffte vielen Menschen ein Auskommen. Außerdem hielt die am Rhein verlaufende Zollgrenze die lästige rechtsrheinische Konkurrenz auf Abstand. Kurzum: Die von Frankreich annektierten Rheinlande blühten auf, Köln entwickelte sich hier zum bedeutendsten Gewerbezentrum.
Eine ganz andere Entwicklung nahmen die Gebiete diesseits des Rheins. Zwar gab es auch vor der Französischen Revolution Beeinträchtigungen im internationalen Handel, aber das Herzogtum Berg in seinem alten Umfang hatte es immer wieder verstanden, zu den wohlhabenderen Gebieten des Reiches zu gehören. Nun waren die linksrheinischen Gebiete verloren, aus Berg, Rest-Kleve – und u.a. um die Grafschaft Mark und die Reichsherrschaft Homburg erweitert – entstand das Großherzogtum Berg, seit 1808 Napoleon direkt unterstellt und von seinem Staatskommissar Beugnot, einem fähigen Verwaltungsexperten, von Düsseldorf aus regiert. Es litt massiv unter der französischen Zollgrenze, die das bergische Gewerbe weitgehend vom Markt im Nachbarland fernhielt, es prosperierte jetzt vor allem der Schmuggel über den Rhein.
Immer mehr Unternehmen verlagerten ihre Produktion vom Großherzogtum in die linksrheinischen Gebiete, die Folge waren eine extrem hohe Arbeitslosigkeit und ein beträchtlich sinkender Lebensstandard. Die Lage verschärfte sich weiter mit den Maßnahmen der gegen England verhängten Kontinentalsperre: Seit 1810 gehörten Holland und große Teile der Nordseeküste bis zu den Hansestädten zu Frankreich und waren für Berg als Absatzmarkt kaum mehr erreichbar, das Dekret von Turin (1807) verbot die Lieferung aller nichtfranzösischen Baumwollwaren nach Italien.
Für weiteren Unmut in der bergischen Bevölkerung sorgte die aufgebürdete Abgaben- und Steuerlast; Kolonialwaren, Salz und Tabak verteuerten sich stark, während die Armut weiter um sich griff. Vereinzelt kam es 1813 zu Aufständen gegen die Fremdherrschaft (z.B. der „Speckrussen-Aufstand“), die sich auch gegen die fortschreitenden Rekrutierungen wendeten.
Sowohl im linksrheinischen, wie auch im rechtsrheinischen Rheinland hatte man die Vorzüge einer stabilen Rechtsordnung und einer funktionierenden Staatsverwaltung durchaus schätzen gelernt. Code Civil (Zivilrecht), Code de Commerce (Handelsrecht) und Code Pénal (Strafrecht) schützten das Gemeinwesen und den einzelnen Bürger. Diese Wirkung blieb, auch nach dem Ende der Franzosenzeit. So musste auch das eher konservative Preußen seiner nicht nur wegen ihres ausgeprägten Katholizismus zunehmend misstrauisch beäugten Rheinprovinz die Fortwirkung des französischen Rechts im Rheinischen Recht konzedieren. Der Code Civil wirkte nach, bis er 1900 im Deutschen Reich durch das Bürgerliche Gesetzbuch ersetzt wurde.
Napoleon lebte verbittert im Exil. Als ihm Herrschaft und Macht genommen waren, verkümmerte er mehr und mehr. Mit 51 Jahren starb er an Magenkrebs, obwohl auch immer wieder eine Arsenvergiftung ins Spiel gebracht wurde. Nach fast 20 Jahren Totenruhe in einem stillen Tal der Insel wurde sein Leichnam 1840 nach Frankreich überführt und dort im Invalidendom beigesetzt. 1861 war dann die neue Krypta fertiggestellt und Napoleon zog in einen prunkvollen Sarkophag, ausgerechnet aus russischem Quarzit, um. Zu dieser Zeit war Frankreich wieder ein Kaiserreich und wieder regierte ein Napoleon die Franzosen, diesmal war es der Neffe.
Text: Harald Meißner