Der Tag des offenen Denkmals, der jedes Jahr am 2. Sonntag im September begangen wird, stand in diesem Jahr unter dem Motto „Sein und Schein – in Geschichte, Architektur und Denkmalpflege“. Seit 1993 koordiniert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die an diesem Tag durchgeführten Aktivitäten. Der damalige Präsident des hessischen Landesamtes für Denkmalpflege und Mitbegründer der Stiftung Gottfried Kiesow regte 1991 die ersten Besichtigungen in Deutschland an, im gleichen Jahr schon hatte der Europarat die „European Heritage Days“ ins Leben gerufen. In Deutschland beteiligen sich an diesem Aktionstag, der in diesem Jahr auch erstmals mit dem Deutschen Orgeltag verbunden wird, mittlerweile 2.700 Gemeinden mit 7.500 Objekten, in vielen Gebäuden gibt es Führungen. Die Gelegenheit, historische Gebäude zu besichtigen, die der Öffentlichkeit nur selten zugänglich gemacht werden, weil sie eben keine Museen sind, sondern von ihren Besitzern sehr unterschiedlich genutzt werden, wird von Millionen Besuchern wahrgenommen.
Der BGV Oberberg nahm den diesjährigen Aktionstag zum Anlass, um in Zusammenarbeit mit dem Oberbergischen Kreis seinen Mitgliedern und Freunden am 12. Sept. 2021 die Besichtigung der Villa Kohlgrüber in der Moltkestraße im Zentrum Gummersbachs möglich zu machen. Die Führung durch das Gebäude übernahm – in zwei Gruppen – als „Hausherrin“ Frau Gabriele Keil-Riegert, die Leiterin des Amtes für Immobilienwirtschaft des Oberbergischen Kreises.
Das 1929 für den HNO-Arzt Dr. Georg Wilhelm Kohlgrüber (1899-1954) vom Gummersbacher Architekten Heinrich Mühlenweg geplante und gebaute Gebäude sollte gediegene Wohnräume und eine moderne Arztpraxis enthalten. An einer belebten Straßenkreuzung Gummersbachs gelegen, in deren Umgebung sich nicht nur öffentliche Gebäude wie das Amtsgericht, die Oberrealschule bzw. das spätere Gymnasium und das Hohenzollernbad befanden, sondern bereits andere imposante Wohnsitze des Gummersbacher Großbürgertums standen (z.B. die Villen Bockhacker und Huland, die dem neuen Rathaus weichen mussten), kam es dem Bauherrn auf eine hervorstechende Außenwirkung des neuen Wohn- und Praxisgebäudes an. Das eingeschossige Haus mit seinem auffälligen Mansardenwalmdach weist neben Elementen des Heimatschutzstils auch neobarocke Einflüsse auf. Die großzügig geschwungenen Sprossenfenster und die aufwändige Dachkonstruktion lassen erahnen, welch hohe Fertigungskunst der oberbergischen Handwerker notwendig war, um die Vorstellungen von Architekt und Bauherr zu verwirklichen. Dies wird auch jetzt zur Herausforderung, wenn das Gebäude gemäß den Anforderungen des heutigen Denkmalschutzes instand gehalten werden soll. Dagegen war der Garten auf dem Grundstück eher klein und versteckte sich hinter dem Haus. Es gab auch eine Garage für ein Automobil, damals noch nicht selbstverständlich.
Im Innenraum fällt die Trennung von privatem Lebensbereich der Familie, der auch durch einen separaten Seiteneingang zu erreichen ist, und geräumigem, der gesellschaftlichen Stellung des Hausherrn entsprechendem Repräsentationsbereich mit großem Esszimmer, Wintergarten und Herrenzimmer auf.
Von hier hatte man auch Zugang zu einem schmalen Balkon, von dem man das Leben auf der Straße oder Umzüge beobachten konnte. Heimat- und Jugendstil findet man auch in den noch original vorhandenen Einbauschränken und Heizungsverkleidungen wieder. Der Privatbereich der Familie war etwas bescheidener, verfügte aber über ein großes Badezimmer. Die winzigen Mansardenzimmer der Dienstmädchen und die Arbeitsräume im Dachgeschoss waren nur über eine schmale Stiege erreichbar und können heute aus Brandschutzgründen nicht genutzt werden.
Nicht zufällig hatte Dr. Kohlgrüber mit Heinrich Mühlenweg einen Architekten beauftragt, der ähnlich wie Heinrich Kiefer das Gummersbacher Stadtbild mitgeprägt hatte und auch im weiteren Umkreis einen hervorragenden Ruf genoss. 1912 baute er für den Gummersbacher Schützenverein die Schützenburg, die spätere Stadthalle. Auch das Kaufhaus Schramm und manch andere Fabrikantenvilla gingen auf seine Entwürfe zurück.
Nach einem Brand 1941 wurde die Villa Kohlgrüber wiederhergestellt. Auch nach dem Tod Dr. Kohlgrübers wurden die Praxisräume bis 1994 von verschiedenen Fachärzten (HNO, Dermatologie, Orthopädie) weitergenutzt, selbst röntgen konnte man hier.
1981 erwarb der Oberbergische Kreis das Gebäude, seit 1984 steht es unter Denkmalschutz. 1987 entstanden in der nun auch als Verwaltungsgebäude genutzten Villa Büroräume. Zunächst zog die Gemeinsame Kommunale Datenverarbeitung von Oberbergischem und Rhein-Sieg-Kreis ein, danach wurden hier unterschiedliche Dienststellen des Oberbergischen Kreises untergebracht. Seit 2017 ist hier eine Geschäftsstelle des Zweckverbandes Naturpark Bergisches Land („Bergisches Wanderland“).
Die Villa Kohlgrüber ist ein Musterbeispiel für behagliches großbürgerliches Wohnen in einer aufstrebenden Kreisstadt des 20. Jh. Trotzdem waren immer wieder kostspielige Kompromisse nötig, damit das Gebäude in späteren Zeiten den Anforderungen einer modernen Bürotechnik und des Arbeitsschutzes genügen konnte. Dabei hat die erfolgreiche Verbindung von Denkmalschutz und zeitgemäßer Nutzung den Fortbestand dieses Juwels im Gummersbacher Stadtbild vorbildlich gesichert.
Am Rande bemerkt sei noch, dass Dr. Georg Kohlgrüber auch begeisterter Amateurfunker war und 1937 die Ortsgruppe Gummersbach des heute noch bestehenden Deutschen Amateur-Radio-Clubs gründete.
Der BGV Oberberg dankt Frau Keil-Riegert, dass sie uns hier einen Einblick in gelebten Denkmalschutz gegeben hat, der sonst für viele Menschen nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Wir danken auch dem Kreis- und Stadtarchivar Manfred Huppertz für seine freundliche Unterstützung bei der Beschaffung themenrelevanter Informationen.
Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf