Zugegeben, das Wetter war sehr launisch und es hat oft geregnet, aber auch das zog eine Parallele zum Oberbergischen. Jedenfalls tat es der erwartungsfrohen Stimmung keinen Abbruch, als am 29. Mai 2024 fast 50 Mitglieder und Freunde des BGV Oberberg zu einer lange geplanten fünftägigen Exkursion nach Tschechien aufbrachen. Zu seinem 100. Geburtstag wollte der Verein den Spuren nachgehen, die das Haus Schwarzenberg, aus Franken stammend und im 16. Jh. durch Heirat in den Besitz der Herrschaft Gimborn gekommen, in einem seiner späteren Lebensmittelpunkte, nämlich dem Königreich Böhmen, hinterlassen hatte.
Die Gruppe brauchte nicht weit zu fahren und war schon mitten im historischen Geschehen. Zum Mittagessen im Weinkeller von Karl Graf zu Castell-Rüdenhausen in Unterfranken hatte sich auch Gottfried Hofmann, der „Bürgermeister“ der Fürstlich Schwarzenberger Tischgemeinde Kitzingen angesagt.
Die Tischgemeinde erinnert an die Teilnahme eines tapferen Schützenfähnleins aus der fränkischen Heimat an der Verteidigung Wiens gegen die Osmanen 1683. 23 Mann kamen zurück und 23 „unsterbliche“ Mitglieder bilden seit dieser Zeit den Verein, der sich Geselligkeit, sozialem Engagement und historischem Forschen verschrieben hat.
Spät abends erreichten wir Pisek, eine im 13. Jh. gegründete böhmische Königsstadt in Südböhmen. Pisek heißt „Sand“ und liegt am Fluss Otava mit goldhaltigem Sand, der im Mittelalter von höchstem Interesse war. Die Přemysliden-Herrscher bauten den Ort aber auch wegen seiner günstigen Lage an wichtigen Fernhandelswegen aus, viele Monumente aus der Vergangenheit, so die älteste Steinbrücke Tschechiens, haben sich hier erhalten, ein jährliches Sandskulpturen-Festival greift Themen aus der böhmischen Geschichte auf, so in diesem Jahr den Transport von Holz aus dem Böhmerwald in alle Welt – mit Flößen über die Moldau.
Auch die Fürsten Schwarzenberg, so durften sie sich seit 1670 nennen, waren „Waldbauern“ und besaßen umfangreiche Ländereien, die sie land- und forstwirtschaftlich nutzten. Ihr Holz verkauften sie bis in die Kaiserstadt Wien, die sie über den im 18. Jh. gebauten Schwarzenberger Schwemmkanal erreichten. Danach verfallen, wird er heute wieder restauriert und lockt viele Besucher an. Auch die Fischzucht war und ist in Südböhmen ein großes Thema, auch hier haben die Schwarzenberger Pionierarbeit geleistet. Daneben sorgten sie auf ihren Besitzungen schon früh für Schulen und Fachschulen und hielten ihre Beschäftigten mit guter Altersvorsorge und sozialen Fürsorgeeinrichtungen bei der Stange.
Nachdem der in Gimborn geborene Adolf von Schwarzenberg 1598 bei Raab (Györ) in Ungarn die Türken mit Bravour geschlagen hatte, wurde er nicht nur in den erblichen Reichsgrafenstand erhoben, sondern durfte sein Wappen mit einem abgeschlagenen Türkenkopf „erweitern“, auf dem ein Rabe sitzt. Das Markenzeichen der Schwarzenberger war geboren, in ihren Schlössern findet man es in zahllosen Variationen.
Adolfs Sohn Adam von Schwarzenberg, ebenfalls Gimborner und Diplomat und Politiker in preußischen Diensten, führte das bedrohte Kurfürstentum sicher durch die Wirren des Dreissigjährigen Krieges und wirkte auch als Herrenmeister der Ballei Brandenburg des Johanniter-Ordens. Gedankt hat man ihm sein Engagement in Preußen nicht, der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ ihn fallen, die Erben verloren seine Ländereien und traten dann lieber in kaiserliche Dienste. Der Lebensmittelpunkt wanderte jetzt dauerhaft nach Wien und Prag, auch Gimborn wurde zum Mauerblümchen und Verwaltungssitz von Amtmännern und wechselte 1782 den Besitzer.
Für die Schwarzenbergs aber ging es steil bergauf, seit 1654 hatten sie ein Daueraufenthaltsrecht in Böhmen und als treue Parteigänger der Habsburger in Militär und Diplomatie konnten sie schnell ihren Besitz mehren. Wittingau (Třeboň) und Frauenberg (Hluboká), 1719 durch Erbfall das bedeutende Herzogtum Krumau, das das zweitgrößte Schloss in Tschechien besitzt. Stadt und Schloss sind UNESCO-Weltkulturerbe, ihre Geschichte geht bis ins 13. Jahrhundert zurück, die Herren von Rosenberg verhalfen zu einer einzigartigen wirtschaftlichen und kulturellen Blüte. Davon konnte sich auch die Reisegruppe des BGV überzeugen, die die Stadt am Nachmittag des zweiten Tages besuchte.
Am Vormittag stand Frauenberg (Hluboká) auf dem Programm, das vielleicht schönste Schloss in Böhmen. Obwohl auf mittelalterliche Wurzeln zurückgehend, merkt man davon kaum noch etwas. Im Besitz der Primogenitur (das Haus Schwarzenberg hatte sich 1789 in eine ältere (Primogenitur) und eine jüngere (Sekundogenitur) Linie aufgespalten) wurde das Schloss in der Mitte des 19. Jh. nach dem Vorbild von Windsor im neugotischen Tudor-Stil fast komplett neuerrichtet – als repräsentative Hauptresidenz der Schwarzenberger in Böhmen. Prinzessin Eleonore von und zu Liechtenstein, Gattin des Fürsten Johann Adolf II., war die treibende und mitplanende Kraft. Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, die edelsten Hölzer und Baumaterialien verwendet. Auch heute noch ist der Besucher von der überwältigenden Pracht der Räume wie benommen.
Am dritten Tag ging es nach Orlik, Sitz der Sekundogenitur am Ufer des 1960 entstandenen Moldau-Stausees. Ursprünglich 60 Meter über der Moldau gelegen, ist das ehemalige Jagdschloss mit mehr als 2.000 Trophäen heute eher eine Wasserburg mit allen Vor- und Nachteilen. Obwohl nach einer wechselvollen Geschichte mit immer neuen Besitzern von den Schwarzenbergern zu einer imposanten Residenz ausgebaut, hat der Bau eine familiäre Note mit Wohlfühlcharakter, den sicher nicht nur der russische Zar Alexander I. auf seiner Reise zum Wiener Kongress genossen hat.
Die ganze Fürstenherrlichkeit in Böhmen ging für das Haus Schwarzenberg schon mit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zu Ende. Da die Fürsten eine Kooperation ablehnten, wurde ihr Besitz unter Zwangsverwaltung gestellt, Mitglieder der Familie landeten im KZ. Die Kommunisten enteigneten den Besitz 1947/48 dann endgültig. Die Familie ging in den Westen, in Österreich, Deutschland und in der Schweiz überstand man die Jahre des Kalten Krieges. Erst in der Zeit nach der Samtenen Revolution wurden die Güter der Sekundogenitur zurückgegeben, auf weitere Ansprüche verzichtete das Haus, seit 1979 sind beide Familienlinien wieder zu einer vereint.
Deren Oberhaupt Fürst Karl VII. zu Schwarzenberg, dem man ironischerweise nie die tschechische Staatsangehörigkeit aberkannt hatte und der immer Kontakte ins Land und zu den dortigen demokratischen Kräften gepflegt hatte, kehrte in seine böhmische Heimat zurück und wirkte als Leiter der Präsidialkanzlei unter Václav Havel und später als tschechischer Außenminister bei der Transformation und Integration des Landes in die EU mit. Er starb im November 2023 in Wien und ruht in der Grabkapelle in Orlik. Sein Sohn Fürst Johannes erlaubte dem BGV, am Sarg seines Vaters einen Kranz niederzulegen. Auf der Kranzschleife wurden dessen Verdienste um Europa gewürdigt.
Weiter ging es nach Prag, dem Zentrum Böhmens. Heute leben hier 1,3 Mio. Menschen, dazu kommen Heerscharen von Touristen. Das verändert allmählich auch den Charakter dieser traditionsreichen Metropole.
Am Nachmittag besuchte die Gruppe die Prager Burg auf dem Hradschin. Man sieht hier sofort die vielen unterschiedlichen Phasen der böhmischen Geschichte: Im alten Königsschloss Reste der Přemysliden-Zeit im Hochmittelalter, die Bautätigkeit der Luxemburger mit ihrem genialen Baumeister Peter Parler, die auch das Gesicht der Stadt bis heute prägt, der Niedergang in den Hussitenkriegen, die Herrschaft der Habsburger in ihren Bauten am Matthiastor. Und all das wird noch einmal im Veitsdom fokussiert mit der Goldenen Pforte, der Wenzelskapelle mit der Kronkammer, der Königsgruft, dem monumentalen Habsburgergrabmal, aber auch mit dem Westwerk aus dem 19. und 20. Jh. Erst 1929, am tausensten Todestag des hl. Wenzel, wurde die Kathedrale nach fast sechshundert Jahren Bauzeit eingeweiht.
Zu diesem Zeitpunkt war Prag schon nicht mehr Hauptstadt des Hl. Römischen Reiches, aber seinen europäischen Charakter hat sich das Caput Regni erhalten. Das zeigt sich nicht nur in den vielen Stadtpalais des Adels mit ihren prächtigen Räumen und Sammlungen, auch in der Innenstadt wurden und werden viele Stilrichtungen aufgenommen und weiterentwickelt – Renaissance, Barock, Rokoko, Klassik, Jugendstil und – das Tanzende Haus.
Resümierend lässt sich festhalten: Die Reise hat viele neue Eindrücke gebracht, europäische Kultur und Geschichte haben sich wie im Brennglas mit unserer Heimatgeschichte verschmolzen und gleichzeitig den Blick auf die Möglichkeiten eines fruchtbaren Austauschs im nachbarschaftlichen Miteinander geschärft. Ich denke, das hätte auch unseren Gründungsvätern in der Oberbergischen Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins gefallen.
Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf
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