1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland – BGV Oberberg besucht die Kölner Synagogengemeinde

Im Jahre 321 erging ein Dekret des Kaisers Konstantin an den Kölner Magistrat: Ihm und der Verwaltung anderer Städte im Imperium wurde nunmehr gestattet, auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die bisher aus religiösen Gründen davon befreit waren, in den Stadtrat zu berufen und für die Verwaltung der Kommunen in die Pflicht zu nehmen. Damit ist Köln als Sitz der ältesten jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen historisch belegt.

Am 28. Juni 2022, nach jüdischer Zeitrechnung am 29. Siwan 5782 (כ״ט סִיוָן תשפ״ב) nach Erschaffung der Welt, besuchten 20 Mitglieder und Freunde des BGV Oberberg das altehrwürdige jüdische Gotteshaus in der Roonstraße, um sich hier unter der fachkundigen Führung von Frau Esther Bugaeva, einer ausgewiesenen Expertin in jüdischer Tradition und Kultur, ein genaueres Bild über die Geschichte der Kölner Juden und ihr heutiges Gemeindeleben zu machen.

Synagoge mit eindrucksvollem Zentralbau

Wir erfuhren, dass die heutige Synagogengemeinde ungefähr 4.100 Gemeindemitglieder umfasst, in ganz Nordrhein-Westfalen sind es 26.000 jüdische Mitbürger. Sie ist damit eine der größten in Deutschland und bildet einen der ursprünglich drei und jetzt – nach dem Zusammenschluss der Progressiven Jüdischen Gemeinden – vier nordrheinwestfälischen Landesverbände. Ihr Einzugsbereich geht weit über die Kölner Stadtgrenzen hinaus und reicht auch bis ins Bergische. Eigentlich sogar noch viel weiter, denn seit dem Ende der Sowjetunion 1990 sind sehr viele Neumitglieder aus Russland und der Ukraine hinzugekommen, die den Schwerpunkt der Gemeindearbeit neu bestimmt haben. Neben Deutsch, Hebräisch und ein wenig Jiddisch (in der älteren Generation, die sich noch an die Städtel-Kultur erinnert) dominiert Russisch, das Gemeindeblatt ist deswegen zweisprachig. Die heutige Kölner Synagogengemeinde pflegt den jüdisch-orthodoxen Ritus. Als die ursprüngliche Synagoge 1899 eingeweiht wurde, waren es eher die liberaleren Kölner Juden, die hier ihre Heimstatt gefunden hatten. Seit der Wiederbegründung der Gemeinde im Jahre 1801 hatte sich die Zahl jüdischer Familien stark vermehrt, es existierte kein Judenviertel mehr wie im Mittelalter, sondern man lebte über das ganze Stadtgebiet verteilt. Es gab u.a. eine konservative Synagoge in der Glockengasse, eine orthodoxe in der St. Apern-Straße und die liberale in der Roonstraße.

Kölner Synagogen – Glockengasse

Bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft waren die Kölner Gemeinden auf über 18.000 Mitglieder angewachsen. Nach der Kapitulation im Westen 1945 lebten gerade noch 30 Juden in Köln. Die Synagogen waren in der Reichspogromnacht und den Bombenangriffen fast vollständig vernichtet worden, nur die stark verwüstete Synagoge in der Roonstraße konnte Ende der 50er Jahre in ihrer ursprünglichen neoromanischen Architektur wiederaufgebaut werden.
Seither ist das jüdische Leben in Köln wieder aufgeblüht. Die Synagogengemeinde unterhält neben Synagoge, Jugendzentrum, Museum und einem koscheren Restaurant in der Roonstraße seit Ende der 90er Jahre ein großes Wohlfahrtszentrum in Ehrenfeld mit Elternheim (Alten- und Pflegeheim), Kindertagesstätte, Grundschule, Bibliothek und Kleiderkammer. Auch Vereinsarbeit für alle Generationen ist der Gemeinde wichtig, die soziale Komponente im Gemeinschaftsleben spielt eine große Rolle. Hilfe zur Selbsthilfe bei der Integration kommt auch heute den Flüchtlingen aus der Ukraine zugute, befürchtete Spannungen zwischen russischen und ukrainischen Gemeindemitgliedern blieben dabei aus, wie Frau Bugaeva erleichtert feststellte.

Blick in den Betsaal

Die Referentin schilderte auf der den Frauen im Gottesdienst vorbehaltenen Empore, von der aus man einen prachtvollen Blick in den kuppelgekrönten Betsaal hat, die Besonderheiten des jüdisch-orthodoxen Gottesdienstes und der für orthodoxe Juden geltenden Lebensregeln. Im Gottesdienst gibt es keine Musikinstrumente, neben dem Rabbiner kommt dem Kantor eine wichtige Rolle zu. Der von einem prächtigen Vorhang verhüllte Tora-Schrein nimmt außerhalb des Gottesdienstes die Heilige Schrift mit den fünf Büchern Mose auf. Wuchtige siebenarmige Leuchter (Menora) bestimmen das Bild des Kultraumes. Auch eine Mikwe für rituelle Waschungen steht zur Verfügung.
Bevor man den Betsaal betritt, wird in einem Gedenkraum an die zahllosen Opfer der Schoah erinnert. Schon beim Betreten der Synagoge merkt man, dass die Zeit des Antisemitismus noch nicht vorbei ist. Polizei bewacht rund um die Uhr den Eingang, der außerdem mit einer Sicherheitsschleuse versehen ist. Frau Bugaeva unterstrich in ihren Ausführungen, wie wichtig es sei, dass Besuchergruppen, besonders aus Schulen, sich vor Ort einen Eindruck von der heute gelebten jüdischen Kultur und Tradition verschaffen und damit Vorurteile abgebaut würden.
Das kleine Museum im Vorraum der Synagoge zeigt nicht nur, an welchen Orten in Köln jüdisches Leben in Altertum, Mittelalter und Neuzeit gewirkt hat, sondern auch wie sich heute jüdisches Alltagsleben und das Feiern des Schabbat und hoher jüdischer Feiertage gestaltet. Hier wird auch an den Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005 erinnert, die Vitrine enthält ein Faksimile des Codex Vaticanus Graecus 1209, einer Handschrift des Alten und Neuen Testamentes aus dem 4. Jh., dem Jahrhundert, in dem die Kölner Juden erstmals ins Licht der geschichtlichen Überlieferung traten.

Text: Harald Meißner, Fotos: Renate und Harald Meißner, Gruppenfoto: Esther Bugaeva

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