Bonte Kerke und Grauwacke – BGV Oberberg besucht das ehemalige Kirchdorf Müllenbach

30 Personen hatten sich für eine Führung durch die verwinkelten Gassen des verträumten Ortes Müllenbach angemeldet, die unter der fachkundigen Leitung von Wolfgang Gaudich am 9. Juli 2022 stattfand. Gaudich, ehemaliger Amtsleiter beim Oberbergischen Kreis, befasst sich nicht erst seit seiner Pensionierung vor einem guten Jahrzehnt mit oberbergischer Heimatgeschichte. Seit 50 Jahren Mitglied des Müllenbacher Schützenvereins hat er zwei Jahrzehnte dessen Chronik betreut, in einem achtköpfigen Team hat er an der Festschrift der Gemeinde Marienheide zum sechshundertjährigen Ortsjubiläum mitgewirkt. Außerdem war er Mitautor des vom Rösrather Geschichtsverein herausgegebenen Sammelbandes „Bergische Wege“, der sich mit der Verkehrsgeschichte im Oberbergischen befasst.
Das Kirchspiel Müllenbach blickt auf eine lange Tradition zurück, der Ort wurde 1174 erstmalig urkundlich erwähnt: Wie so oft ging es ums Geld. Die Müllenbacher, dem Kölner Stift St. Severin gegenüber abgabenpflichtig, waren säumige Zahler und mussten vom Kölner Erzbischof Engelbert von Berg sanft ermahnt werden.
Wie eine vom Homburger Museumsleiter Hermann Conrad 1952 in unmittelbarer Nähe der alten Wehrkirche durchgeführte Grabung gezeigt hat, liegen die Ursprünge des Ortes wesentlich weiter zurück: Man fand hier Überreste eines Gutshofes aus karolingischer Zeit (Kellergewölbe, Brunnen, Umfassungsmauer), erhaltene Scherbenreste (Badorfer Keramik) halfen bei der Datierung des Fundes. Da aber sicher noch nicht alle Geheimnisse der alten Fundstätte gelüftet sind, darf man sich auf zukünftige Erkenntnisse freuen.
Etwas jünger ist die benachbarte Kirche, eine der oberbergischen bunten Kirchen, obwohl von ihren in der Reformation übertünchten Wandmalereien nur geringe, aber sehenswerte Reste erhalten sind. Ihr Turm stammt aus dem ausgehenden 11. Jh., noch älter ist eine ihrer Glocken („Zuckerhutglocke“), womöglich die älteste freischwingende Glocke im Rheinland. Der Ort wächst, im 15. Jh. wird der Kirchenbau erweitert, 1580 hält die Reformation Einzug. Ihr weißes Kleid bekommt die Kirche allerdings erst 1978, vorher sah man nur den ursprünglichen Naturstein.
Die Herren von Möllenbicke, die dem Ort den Namen gaben, waren keine Grafen, aber Gerichtsherren. Sie dienten den Grafen von der Mark als Vögte in Gummersbach und (Berg) Neustadt. Ihr Geschlecht starb im Dreissigjährigen Krieg aus, danach waren die Schwarzenberger Landesherren in Müllenbach.
Das Dorf Müllenbach, heute etwa 1.400 Einwohner stark mit einem großen Neubaugebiet, zählte bis ins 19. Jh. kaum 250 Personen. Den Lebensunterhalt verdienten hauptsächlich Landwirtschaft und Handwerk. Das änderte sich, als im 19. Jh. die Nachfrage nach oberbergischer Grauwacke massiv anstieg. Als Baumaterial in den bergischen Städten beliebt, mehr aber noch als Pflastermaterial im Straßenbau und zur Befestigung der sich stark ausdehnenden Eisenbahnnetze eingesetzt, entstanden auch im Müllenbacher Umfeld zahlreiche Steinbrüche, die vielen Familien im Dorf ein geregeltes Einkommen verschafften. Die Bergisch-Märkische Steinindustrie übernahm die Koordinierung, ihre prächtige ehem. Niederlassung ist in Müllenbach erhalten.
Ein belastender Nachteil war auch für die oberbergische Grauwackeförderung die schlechte Verkehrsinfrastruktur. Pflastersteine und Schotter mussten über weite Strecken mit Pferdewagen transportiert werden, das schränkte die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe ein. Ein Wandel kam mit dem Bau der Volmetalbahn 1891/92, die den Weg in die große weite Welt freimachte. Der Bahnhof Holzwipper erhielt eine Grauwacke-Verladung, eine Feldbahn verschaffte 1898 Zugang zu den Müllenbacher Brüchen, sie war – sonst eher eine Seltenheit – sogar elektrifiziert und produzierte mit eigenem Generator Strom. Einen großen Aufschwung gab es noch einmal vor dem 1. Weltkrieg, als für die Staumauer der Brucher-Talsperre viel Material gebraucht wurde. Nach dem 2. Weltkrieg wurden immer mehr Straßen asphaltiert, die große Zeit war mit der Schließung der letzten Steinbrüche um 1950 vorbei.
Müllenbach hat viele Gesichter. Das Dorf verfügt über einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn, es gibt hier viele Vereine. Der bekannteste ist der Schützenverein, 1557 gegründet, zum 400-Jahr-Jubiläum wurde 1957 in Eigenleistung eine neue Schützenhalle errichtet, ein zentraler Treffpunkt der Dorfgemeinschaft.
Geprägt wurde der Ort auch von Sommerfrische und Wintersport, als das hochgelegene Dorf noch schneesicher war. 1930-32 entstand hier eine der ersten oberbergischen Sprungschanzen, 1971 folgte ein Skilift und 1972 die erste Matten-Skipiste (Sommerski) in Deutschland. 2006 war die Herrlichkeit vorbei, der Lift wurde verschrottet.
Um die Dorfkultur zu erhalten und auch für nachfolgende Generationen sichtbar zu machen, kaufte der Schriftsteller Harry Böseke ein altes Gebäude und richtete hier das „Haus der Geschichten“ ein. Die ursprüngliche Funktion des Hauses als Steinbruchkontor, Krämerladen und Arztpraxis kam wieder zutage und bildete einen Ort für Vorträge und Lesungen. Auch der jährliche Büchermarkt „Bücherdorf Müllenbach“, der im ganzen Dorf neue und alte Bücher anbot, war überregional bekannt. Tempi passati – nach Bösekes Tod (2015) wurde das „Haus der Geschichten“ 2018 geschlossen und dann verkauft.
Neben dem Kirchenbau ist noch einiges an alter Bausubstanz in Müllenbach erhalten. Haus Schorre aus dem Jahr 1350 ist der älteste Profanbau und diente als Gasthaus, Pfarrhof und Bauernhof, Haus Wahlscheid (erb. 1775) war Vogtei und Bürgermeisterei.
1717 kam der erste Lehrer nach Müllenbach, einer der älteren Schulräume befand sich über dem „Backes“ des Pfarrers, nur über eine Hühnerleiter erreichbar. Die Kirche kümmerte sich aber nicht nur um die Bildung ihrer Schäfchen, 1905 initiierte Pastor Rudat die Gründung einer Genossenschaftsbank in Müllenbach.
Herr Gaudich führte die Gruppe anschließend zu Kaffee und Kuchen in das idyllisch gelegene „Roger´s Restaurant“ an der Brucher-Talsperre, wo noch Gelegenheit zu vertiefenden Gesprächen war.

Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf
https://www.rundschau-online.de/region/oberberg/marienheide/archaeologie-in-marienheide-geschichte-unterm-garten-39806056

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Eine derartige, hier abgebildete Münze, ein Kölner Pfennig des Erzbischofs Siegfried von Westerburg (1275 – 1297) wurde auf dem  Areal Wernscheid  in Müllenbach (Burggelände) gefunden und ist Zeugnis der mittelalterlichen Besiedlung.

Die von Herrn Gaudich gezeigten Zeichnungen von Kirche und Burg:

Und hier noch ein anschaulicher Zeitungsbericht über einen BGV-Ausflug in den frühen 1950er Jahren:

31 Herbstreise durchs Schwarzenbergische – 1952