Zur gut besuchten Auftaktveranstaltung am Freitag, den 7. März 2025 wurde der BGV-Oberberg im Heimatmuseum Bergneustadt aufs freundlichste empfangen. Dr. Stefan Corssen, Redakteur der Oberbergischen Volkszeitung/Oberbergischer Anzeiger, skizzierte die Lebensgeschichte von Mathilde Lauterjung geb. Reichmann aus Bergneustadt-Wiedenest, die mit ihrer Familie als KPD-Mitglied aktiv im Widerstand gegen die Nationalsozialisten agierte.
Ausgangspunkt der umfangreichen Recherchen waren Dokumente aus dem Stadt- und Kreisarchiv in Gummersbach. Weitere Hinweise fanden sich über eine Recherche bei den Arolsen Archives, den NRW-Landesarchiven in Duisburg und Münster sowie im Bundesarchiv in Berlin. Im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln findet sich außerdem ein rund einstündiges Interview mit Mathilde Lauterjung, später Mathilde Ketschau (nach ihrem zweiten Ehemann Willi Ketschau). Bei Besuchen in Brauweiler, in Köln und Ravensbrück konnte sich Dr. Corssen vor Ort über die Haftbedingungen während der NS-Zeit informieren.
Als Gegnerinnen der neuen NS-Regierung werden Mathilde Lauterjung und drei ihrer Schwestern im Frühjahr und Sommer 1933 in „Schutzhaft“ genommen. Mathilde Lauterjung landet im berühmt-berüchtigten Klingelpütz, dem alten Kölner Stadtgefängnis, von dort wird sie im Herbst 1933 in das Konzentrationslager Brauweiler überführt. Im Januar 1934 entlässt man sie.
Um einem Prozess und einer drohenden Verurteilung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu entgehen, flieht Mathilde Lauterjung im Frühjahr 1934 mit dem Fahrrad von Wiedenest bis an die niederländische Grenze. In den folgenden Jahren lebe sie im Exil in Amsterdam, Haarlem und in Frankreich. Zwischendurch ist sie wohl auch für eine kurze Zeit in Moskau.
Im Mai 1940 überfällt die deutsche Wehrmacht die neutralen Niederlande, Mathilde Lauterjung wird von der Gestapo festgenommen, nach Deutschland gebracht und mehrfach verhört. Das OLG Hamm verurteilt sie wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe, die sie in Essen absitzt. Noch schlechter ergeht es ihrer Schwester Elfriede, die zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt wird. Auch ihre Geschwister Walter und Margarethe landen im Gefängnis und – im Fall ihrer Bruders – im Konzentrationslager Dachau.
Mathilde Lauterjung wird nach Verbüßen ihrer Haftstrafe im August 1942 in das Konzentrationslager Ravensbrück überstell, wo sie in der Schneiderei arbeitet. Umso länger der Krieg dauert, desto schlechter werden dort die Lebensumstände. Im letzten Kriegswinter 1944/45 nimmt die Versorgungssituation mit Lebensmitteln katastrophale Züge an. Tausende von Häftlingen werden erschossen oder in einer Gaskammer ermordet. Nicht wenige sterben an Krankheiten oder verhungern.
Dem Internationalen Roten Kreuz gelingt es, kurz vor Kriegsende über 7000 Frauen aus Ravensbrück nach Skandinavien in Sicherheit zu bringen, darunter auch Mathilde Lauterjung. In ihrem Interview, aus dem Dr. Corssen mehrere Passagen im Originalton vorspielt, schildert sie eindringlich die lebensgefährliche Evakuierung.
Nach dem Krieg lässt sich Mathilde Lauterjung in Köln nieder, wo sie mit ihrem zweiten Ehemann lebt. Zu ihren Schwestern, die in Wiedenest wohnen bleiben, steht sie in engem Kontakt. Mathilde engagiert sich in der KPD und in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) in Köln, was das Landesamt für Verfassungsschutz argwöhnisch beobachtet. Sie stirbt im Mai 1976, kurz vor ihrem 79. Geburtstag.
Wie der Referent zum Abschluss seines Vortrags hervorhob, wurde das Bild des NS-Widerstands lange Zeit von wenigen Namen dominiert: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Hans und Sophie Scholl und Georg Elser. Doch auch Frauen wie Mathilde Lauterjung, die eher im Verborgenen mutig Widerstand leisteten, verdienen es, dass man an sie erinnert.
In der abschließenden Fragerunde schilderte ein früherer Nachbar aus Wiedenest einige Erinnerungen an die Familie Reichmann, eine andere Zuhörerin bat um weitere Hinweise, da sie mehr über das Schicksal ihres Großvaters erfahren möchte, der ebenfalls von der NS-Regierung verfolgt wurde.
Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf
https://heimatmuseum-bergneustadt.de/
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- Heimatmuseum Bergneustadt
- Begrüßung durch Museumsleiterin Pavla Brandsch
- Einführende Worte des Vorsitzenden Marcus Dräger
- Vortragender Dr. Stefan Corssen
- Interessiertes Publikum
- Markante Stationen des Lebensweges des Protagonistin
- Dankeswortes des Vorsitzenden
- Trauzimmer im Heimatmuseum