Wechselbad der Eindrücke und Gefühle – BGV Oberberg und VHS Gummersbach besuchen Hadamar

Am 28. Oktober 2023 besuchte eine Busgruppe Geschichtsinteressierter aus dem Oberbergischen die ehemalige Residenzstadt Hadamar in Mittelhessen. Hierzu hatten der BGV Oberberg und die Volkshochschule Gummersbach eingeladen. Neben einem Workshop in der Euthanasie-Gedenkstätte auf dem Mönchberg war auch ein historischer Rundgang durch die gut erhaltene Altstadt des Ortes vorgesehen. Die Gesamtschau beider Komponenten machte klar, wie nah Gutes und Böses, Kreativität und Vernichtung beieinander liegen können.
Hadamar hat eine lange und wechselvolle Geschichte, die bis in die Frankenzeit zurückreicht. Man hat sogar Gräber aus vorgeschichtlicher Zeit gefunden. Einen ersten Aufschwung erlebte der Ort im 14. Jh. unter der Regierung der älteren Linie des Hauses Nassau-Hadamar: Der Ort am Elbbach an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen besaß erst eine Furt und dann eine steinerne Brücke und erhielt 1324 Stadtrechte und eine Stadtmauer. Nach einer Zeit des Niedergangs in Erbauseinandersetzungen mit diversen Linien des Hauses Nassau gelang es erst zu Beginn des 17. Jh. unter der jüngeren Linie Nassau-Hadamar, wieder an frühere Erfolge anzuknüpfen.
1607 gelangte die kleine Herrschaft durch Erbteilung an den Grafen Johann Ludwig. Seine Mutter war eine Gräfin von Sayn-Wittgenstein, Verwandte der Mutter übernahmen für den noch unmündigen Sohn die Vormundschaftsregierung in Hadamar. Währenddessen studierte Johann Ludwig an Akademien in Heidelberg, Sedan und Genf, es schlossen sich ausgedehnte Bildungsreisen durch Europa an. Der junge Regent knüpfte enge Kontakte zum europäischen Hochadel, die ihm noch wertvolle Dienste leisteten.

Schloss Hadamar – Festsaal Johann-Ludwig

In den Wirren des Dreissigjährigen Krieges musste der calvinistisch erzogene Johann Ludwig um die Herrschaft des Hauses Nassau fürchten; ganz Diplomat und geschickter Taktierer gelang es ihm aber im kaiserlichen Wien, dieses Schicksal abzuwenden: Er konvertierte zum Katholizismus und trat in die Dienste Ferdinands II. Seine große Stunde schlug, als sich die erschöpften Kriegsteilnehmer nach Frieden sehnten und für dieses Projekt einen Architekten suchten. Seit 1638 war Johann Ludwig intensiv in die Friedensverhandlungen eingebunden, 1648 durfte er als erster seine Unterschrift unter den Westfälischen Frieden setzen. Vorher hatte er schon zum Ende des Achtzigjährigen Krieges zwischen Spanien und den niederländischen Generalstaaten beigetragen. Seine Bemühungen wurden 1650 mit der Erhebung in den Reichsfürstenstand belohnt.
Hadamar wurde unter seiner Regierung zur modernen Residenzstadt, die alte Burg verschwand – bis auf einige Kellergewölbe – zugunsten eines prächtigen Barockschlosses, es entstanden großzügige neue Plätze und Wohnviertel, die Beamten des Fürsten und wohlhabende Familien errichteten reichgeschmückte Fachwerkhäuser (z. B. das spätere Rathaus von 1639).
Die Klosterkultur hat in der Hadamarer Geschichte schon immer eine große Rolle gespielt. Im Hochmittelalter waren es die Zisterzienser, die die Landwirtschaft in der Region entwickelt hatten. Mit der Konversion zum Katholizismus zogen 1630 die Jesuiten in Hadamar ein und begannen mit der Gegenreformation. Ihre ehemalige Niederlassung um die Johann-Nepomuk-Kirche herum ist heute noch ein architektonischer Hingucker in der Stadt.

Ehemaliges Franziskanerkloster mit Fürstengruft

1635 folgten die Franziskaner, die sich auf dem Mönchberg ansiedelten und mit der Ägidienkirche die Grablege der Hadamarer Fürsten betreuten.
Während des Stadtspaziergangs mit Heinz Valentin, einem Stadtführer und ehemaligen Schulleiter der Fürst-Johann-Ludwig-Schule, konnten wir einige der Prunkräume des Schlosses, wie die Fürstenwohnung und den Fürstensaal besichtigen. Beide Bereiche besitzen prächtige Stuckdecken und Intarsien-Böden, in der Fürstenwohnung ist ein Glasmuseum untergebracht. Es soll an die von Vertriebenen aus Böhmen mitgebrachte Tradition der Glasbläserei und -gestaltung erinnern, Hadamar ist Sitz einer der drei deutschen Glasfachschulen.
Eine weitere Kostbarkeit im Stadtbild ist die spätmittelalterliche Liebfrauen-Kirche, ein farbenprächtiges Kleinod der damaligen Gestaltung sakraler Räume. Hervorzuheben sind besonders die plastischen Köpfe an den Schnittpunkten der Netzrippengewölbe, sie zeigen einen Querschnitt durch das soziale Gefüge der damaligen Zeit – vom Bischof bis zum Bettler.
Nach dem Mittagessen im sog. Fohlenhof (früher Teil des Marstalles, der der Pferdeaufzucht diente) ging es zur Euthanasie-Gedenkstätte, die die erste Gruppe bereits am Vormittag zu ihrem Workshop besucht hatte. Diese Gruppe unternahm am Nachmittag einen Stadtrundgang. Beide Gruppen trafen sich in der erhalten gebliebenen ehem. Synagoge aus dem 19. Jahrhundert und erfuhren hier noch viel Wissenswertes über jüdisches Leben vor Ort. Vor der Heimfahrt besuchten beide Gruppen noch die Marienkapelle auf dem Herzenberg, wo nach österreichischem Vorbild die Herzen einiger Hadamarer Fürsten beigesetzt sind.

Mahnmal „Grauer Bus“

Der Gang ins Gebäude der Gedenkstätte Hadamar ist und bleibt für jeden beklemmend, der die unfassbare Geschichte dieses Ortes kennt. Man hat in der Schule von den unsagbaren Verbrechen des Nationalsozialismus gehört, die mit der sog. Euthanasie (griech. Schöner Tod) verbunden sind. Aber es ist auch heute noch eine grausige Erfahrung, wenn man in der Garage steht, in der die Grauen Busse, abgeschirmt vor allzu neugierigen Blicken, ihre aus Zwischenlagern hierher transportierten „Fahrgäste“ abluden. Es waren psychisch Kranke, die nach der Auffassung der damals Herrschenden die Volks- und Rassegesundheit gefährdeten und deswegen ausgemerzt werden mussten. Wie Schlachtvieh wurden sie zur Tötung getrieben, Krematorien arbeiteten Tag und Nacht, ein großer Teil der Asche wurde irgendwo wie Abfall entsorgt. Die Angehörigen wurden noch zusätzlich mit sog. Trostbriefen belogen und verhöhnt, für sie gab es keinen Ort der Trauer. Obwohl die Räume noch in der NS-Zeit zurückgebaut worden sind und man weder die Instrumente der Vergasung noch die Krematorien sieht, glaubt man das Grauen jener Zeit hautnah zu spüren.
Hadamar und die fünf anderen Tötungsanstalten im Reich waren der Anfang, 1941 wurden 70.000 Kranke und Behinderte („lebensunwertes Leben“) durch Kohlenmonoxid-Einleitung ermordet, allein in Hadamar über 10.000 Personen. Interventionen der kath. Kirche und Unruhe in der Bevölkerung führten im Sept. 1941 zum Abbruch der „Aktion T4“. Auf die zentral kontrollierte Ermordung folgte aber dann von 1942 bis zum Kriegsende die sog. „wilde“ Euthanasie. In vielen Heilanstalten wurden Kranke durch gezielte Medikamenten-Überdosierung, Verwahrlosung und Verhungernlassen einem noch grausameren Schicksal ausgesetzt, in Hadamar waren es noch einmal über 4.000 Patienten.
Wurden diese menschenverachtenden Untaten gesühnt? Amerikanische Militärgerichte sprachen zwar einige Todesurteile aus und vollstreckten sie auch. Auch deutsche Gerichte verhängten Todesurteile, die aber mit Verkündung des Grundgesetzes in lebenslängliche Freiheitsstrafen umgewandelt wurden. Viele Täter wurden noch in den 1950er Jahren begnadigt.
Von Hadamar und den anderen Tötungsanstalten führt ein direkter Weg nach Auschwitz: Die Anstalten werden zu Konzentrationslagern, aus Bussen werden endlose Züge mit Viehwaggons, Zyklon B ersetzt das Kohlenmonoxid. Die Botschaft der 1983 eingerichteten Gedenkstätte und auch die Mahnung für uns heute lautet: Haltet die Erinnerung wach, obwohl sie nichts ungeschehen macht. Verdrängen und Vergessen begünstigt die Wiederholung.

Text: Harald Meißner, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf

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